Kirchenjournalist Röser zur Priester- und Kirchenkrise

"Priester müssen fromm und führungsstark sein"

Die katholische Kirche braucht einen neuen Priestertyp, fordert der Publizist Johannes Röser. 90 Prozent der Getauften in Deutschland würden sich von der religiösen Praxis abwenden, deswegen müssten die Geistlichen wieder stärker auf die Menschen zu gehen und zu "Kommunikationspriestern" werden, sagte der Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart" im Interview.

 (DR)

KNA: Herr Röser, erstmals gab es im vergangenen Jahr bundesweit weniger als 100 Priesterweihen in Deutschland. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Katholiken insgesamt dramatisch. Wird der Priester überhaupt noch gebraucht?
Röser: Ja, davon bin ich überzeugt. Der Priesterberuf genießt unter vielen Menschen noch immer ein hohes Ansehen. Auch wenn es Kirchenferne gibt, die Priester und Glaube für völlig unzeitgemäß halten. Aber viele hoffen auf den Priester als jemanden, der Hinweise auf die Antworten der großen menschlichen Fragen gibt: Was ist der letzte Lebenssinn, was kommt nach dem Tod? Wie ist Gott? Ich kenne keinen anderen Beruf, der so große Kompetenzen hätte, auf diese Fragen einzugehen. Das ist eine Chance.

KNA: Aber gelingt es denn, diese Fragen im Alltag auch anzusprechen?
Röser: Viel zu wenig. Denn wir erleben derzeit einen neuen Typ von Kirchenspaltung. Innerhalb der katholischen Kirche wollen bis zu 90 Prozent der Getauften in der Bundesrepublik nichts oder fast nichts mehr mit der religiösen Praxis zu tun haben. Angesichts dieser Entwicklung brauchen wir einen neuen Priestertyp. Wir müssen wieder Kommunikationspriester haben, Priester, denen es gelingt, die Leute wieder neu zur Gottesfrage hinzuführen.

KNA: Die Krise der Kirchen in Deutschland drängt dazu, Lösungen zu finden. Wie könnte das geschehen?
Röser: Das geht sicher nicht von heute auf morgen. Aber wichtig wäre aus meiner Sicht, dass Priester wieder viel stärker auf die Menschen zuzugehen lernen. Also etwa auch zu Besuch in die Wohnungen kommen.

Dafür braucht es aber Zeit - und das ist unmöglich zu leisten, wenn ein Pfarrer für eine Großgemeinde mit 20.000 Leuten zuständig sein soll. Zumal wenn es keine Kapläne oder sonstige Helfer gibt.

KNA: Aber diese Großgemeinden sind bundesweit im Kommen. Wird nicht in fast allen deutschen Bistümer derzeit an Strukturreformen gearbeitet, um mit größeren Gemeindeverbünden auf sinkende Katholiken- und Priesterzahlen zu reagieren?

Röser: Ja, es gibt sicherlich im Moment keine Alternative zum Zusammenfassen der Gemeinden. Wenn nicht genügend Priester da sind, muss man zu dieser Notlösung greifen. Aber wenn Kirche lebendig bleiben soll, darf das nur eine Notübergangslösung bleiben. Ein Hauptaugenmerk müsste darauf liegen, innerhalb dieser entstehenden Großgemeinden lebendige Glaubens-, Gebets- und Bibelkreise zu gründen. Vor allem auch, um den Glauben in die nächste Generation weiterzutragen. Denn derzeit bricht die mittlere und junge Generation für die Kirche fast völlig weg.

KNA: Wie kann Kirche wieder jünger werden?
Röser: Das ist keine leichte Aufgabe, gerade heute, wo jeder in vielen Zusammenhängen von Beruf und Freizeit eingebunden ist. Aber jeder muss sich fragen, wie viel ist mir mein Glaube wert, wie viel Zeit meiner Freizeit wende ich hierfür auf. Diese Frage zu stellen, verbunden mit entsprechenden Angeboten, ist auch eine wichtige Aufgabe des Priesters.

KNA: Was also muss ein Priester können, damit die katholische Kirche in Deutschland nicht weiter schrumpft?
Röser: Er muss bildungsorientiert und neugierig sein. Im guten klassischen Sinn muss er fromm sein, das heißt, er muss die Frage nach Gott in sich tragen. Dabei aber auch Zweifel zulassen, damit die Menschen merken, dass er mit der Gottesfrage ringt. Er muss auch führungsstark sein. Er muss vorangehen. Er muss sensibel sein für die Leiden und Sorgen des Menschen. Und er muss ebenfalls neugierig sein auf die ganz weltlichen Dinge. Gerade heute, wo viel Leute ihren Glauben mit naturwissenschaftlich geprägter Fragestellung verstehen wollen.

KNA: Dennoch: Ist nicht entscheidend, ob es gelingt, wieder mehr junge Menschen für den Priesterberuf zu gewinnen?
Röser: Ja, es führt kein Weg daran vorbei, dass wir wieder mehr - gerade junge - Priester brauchen. Und es gibt verschiedene denkbare Auswege: Zum Beispiel könnte man von den katholischen Kirchen des Ostens lernen, wo es verheiratete Gemeindepriester gibt. Das würde nicht alle Glaubensprobleme lösen, aber neuen Schwung und Bewegung bringen.

KNA: Aber im Vatikan gibt es in Sachen Aufweichen des Zölibats keine Bewegung. Warum sollte die Pflicht zur Ehelosigkeit fallen?
Röser: Weil der Druck der Glaubensengagierten von unten immer mehr wächst. Und weil sich andererseits so viele Getaufte nicht mehr für Kirche interessieren. Ich bin überzeugt, dass das viele Bischöfe und auch der Papst längst wissen. Derzeit herrscht in der Kirchenführung nur eine große Ratlosigkeit, wie man Abstand nehmen könnte von einer so langen Tradition des Zölibats. Der zölibatäre Priester ist ja auch ein Stück Kulturgut in der katholischen Kirche. Kulturen sind wichtig, aber sie ändern sich eben auch.

Interview: Volker Hasenauer