Kirchenjuristin ist für schärferes Kirchen-Disziplinarrecht

"Darüber müssen wir reden"

Die Berliner Konsistorialpräsidentin hat sich für eine Verschärfung des kirchlichen Disziplinarrechts bei sexuellem Missbrauch ausgesprochen. Die Verjährungsfristen seien schwierig, da Betroffene oft erst nach Jahren sprechen können.

Autor/in:
Yvonne Jennerjahn
Ein Rosenkranz liegt auf dem Codex Iuris Canonici (CIC), Kodex des kanonischen Rechts, dem Gesetzbuch des katholischen Kirchenrechts / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Rosenkranz liegt auf dem Codex Iuris Canonici (CIC), Kodex des kanonischen Rechts, dem Gesetzbuch des katholischen Kirchenrechts / © Harald Oppitz ( KNA )

Derzeit verjährten Delikte mit Blick auf Disziplinarmaßnahmen in der Regel innerhalb von vier Jahren, sagte die Chefjuristin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Viola Vogel, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin: "Darüber müssen wir reden."

Berliner Konsistorialpräsidentin Viola Vogel  / © Monika Skolimowska (dpa)
Berliner Konsistorialpräsidentin Viola Vogel / © Monika Skolimowska ( dpa )

Die aktuellen Verjährungsregeln seien "schwierig, weil Betroffene oft erst nach Jahren die Kraft finden, über den erlittenen Missbrauch zu sprechen", sagte die promovierte Juristin: "Das ist eine der Stellschrauben, es könnten längere Fristen für Disziplinarverfahren eingeführt werden."

Studie zeigt "Spitze der Spitze des Eisbergs"

In einer unabhängigen Studie, die Ende Januar vorgestellt wurde, sind bundesweit für den Zeitraum 1946 bis 2020 mindestens 2.225 von sexualisiertem Missbrauch betroffene Minderjährige und 1.259 mutmaßliche Täter ermittelt worden. Es sei davon auszugehen, dass dies nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs" sei, hieß es.

Die innerkirchlichen Sanktionen reichten vom Verweis über Geldbußen, Versetzungen in den Wartestand oder Ruhestand, Kürzungen der Bezüge bis hin zu Entlassungen, je nach Schwere des Delikts, sagte Vogel. 

"Einige Fälle, die wir haben, sind so furchtbar, dass ich jedem und jeder Betroffenen am liebsten sofort ermöglichen würde, zu klagen, egal wie lange es her ist." 

Entschädigung in Geld "nur ein Strang"

In der Landeskirche wurden im Rahmen der Studie 116 Fälle betroffener Minderjähriger benannt und 41 Beschuldigte ermittelt.

Zur Frage möglicher Entschädigungszahlungen sagte Vogel, die Entschädigung in Geld sei nur eine Form der Anerkennung. "Ich würde vorsichtig sein, vorschnell mit Geld die Schuld zuschütten zu wollen", sagte sie.

"Das kann nur ein Strang sein, in welcher Höhe auch immer." Die Anerkennungskommission der Landeskirche könne Unterstützungsleistungen von 15.000 bis 50.000 Euro an Betroffene vergeben. Seit 2019 seien so rund 200.000 Euro an 16 Menschen gezahlt worden.

"Wichtig, dass das Thema oberste Priorität behält"

Wichtig sei, dass die Betroffenen die Kirche "als lernende Institution erleben, die nicht erneut verletzt, indem sie weghört und abwiegelt", sagte Vogel. Jeder Betroffene, der sich melde, müsse gehört werden. 

Die Prävention müsse verbessert werden. Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt müssten minimiert werden. "Es ist absolut wichtig, dass das Thema oberste Priorität behält und nicht zu einem Thema unter vielen wird", sagte die Konsistorialpräsidentin.
 

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
epd