Kirchenmusiker besorgt um die Zukunft der Chöre

"Auch kirchenpolitische Gründe"

Die Pandemie hat Chöre schwer beeinträchtigt. Auch die Kirchenchöre im Erzbistum Köln haben deutlich an Mitgliedern verloren. Neben Corona stellen nun die Energiekrise und die kirchliche Großwetterlage große Herausforderungen dar.

Corona, Überalterung und die kirchliche Gesamtlage setzen den Chören zu. / © Sonja Filitz (shutterstock)
Corona, Überalterung und die kirchliche Gesamtlage setzen den Chören zu. / © Sonja Filitz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor Corona war Singen in Chören wieder voll im Trend. Wie groß oder klein ist nach Ihrem Eindruck jetzt gerade die Begeisterung für das gemeinsame Singen in der Kirche?

Prof. Richard Mailänder / © Beatrice Tomasetti (DR)
Prof. Richard Mailänder / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Prof. Richard Mailänder (Erzdiözesankirchenmusikdirektor im Erzbistum Köln): Die Begeisterung ist sehr tastend, viele sind nicht mehr in den Chören. Wir haben massive Einbußen. Nach der derzeitigen Statistik kommt ein Viertel nicht mehr, zum einen Teil aus Altersgründen und zum anderen Teil sind die Kinder- und Jugendchöre komplett weggebrochen. Wenn die nicht regelmäßig Proben haben, kommen die nicht mehr.

Auch kirchenpolitische Gründe spielen eine Rolle. Wir können nicht konkret sagen, woran es genau liegt. Ich kann nur sagen, dass wir vor sieben Jahren noch circa 45.000 Mitglieder in Gruppen hatten, jetzt circa 33.000. Selbst die Zahl scheint mir nach den Berichten, die ich in den letzten Tage bekommen habe, noch zu hoch.

DOMRADIO.DE: Manche Chorleiterinnen und Chorleiter haben versucht, die Chöre in der Pandemie mit Online-Proben bei der Stange zu halten. Auch das Erzbistum Köln hat ein Online-Programm gemietet und auf entsprechenden Servern zur Verfügung gestellt, sodass die Menschen, die im kirchlichen Bereich arbeiten, eine schnelle Verbindung haben wenn sie es für digitale Proben nutzen möchten. Spielen diese virtuellen Proben jetzt noch eine Rolle?

Mailänder: Genau, das ist genutzt worden, wird partiell immer noch genutzt und ich vermute, es wird demnächst wieder etwas mehr Anwendung finden. Aber machen wir uns nichts vor, das sind keine großen Zahlen. Die Leute müssen dafür schon sehr ambitioniert sein.

Das Problem ist bei solchen Sachen nicht die Software selbst, sondern all das, was mit dranhängt. Wir haben zeitweise zwei Leute in der Stabsstelle Kirchenmusik beschäftigt nur zur Beratung von Chören, was wie eingestellt werden muss.

Prof. Richard Mailänder (Erzdiözesankirchenmusikdirektor im Erzbistum Köln)

"Ich bin sicher, dass Chormusik bleiben wird. Aber vielleicht ziemlich anders."

DOMRADIO.DE: Während der Pandemie haben sich einige kleinere Ensembles gegründet, weil mit weniger Mitgliedern ein geringeres Risiko für eine Ansteckung besteht. Befürchten Sie, dass durch Corona diese klassischen großen Kirchenchöre, die es wegen der Überalterung der Mitglieder ohnehin schon schwer hatten, noch weniger werden?

Mailänder: Zunächst mal hatten wir in der Tat zahlreiche neue kleine Gruppen, die sich aus den größeren zusammengesetzt haben. Die können zum Teil auf einem ganz anderen Level arbeiten.

Auf der anderen Seite gibt es eine sehr engagierte Jugend, die anspruchsvoll arbeiten will und es gibt vielfach überalterte Kirchenchöre.

Historisch muss man sagen, die ganzen Chöre kommen eigentlich aus dem 19. Jahrhundert und es kann durchaus sein, dass etwas in der Kirche zu Ende geht. Wir erleben das ja auch mit dem Typus der Pfarrgemeinde, die sind auch heute deutlich mit Fragezeichen versehen, viel mehr als noch vor 30 oder 40 Jahren.

Es wird sich zeigen, was davon bleibt. Ich bin sicher, dass Chormusik bleiben wird. Aber vielleicht ziemlich anders. Vielleicht kommen auch neue Instrumentalgruppen dazu, denn das haben wir auch in Corona gemerkt. Es gibt eine Menge Leute, die haben Interesse mit ihren Instrumenten etwas in der Kirche zu machen und die sind auch verstärkt eingebunden worden. Wir haben zum Teil komplett neue Formate entwickelt.

DOMRADIO.DE: Dank Impfungen und insgesamt harmloseren Verläufen proben viele Ensembles bereits wieder. Jetzt droht aber schon wieder eine Corona-Herbstwelle. Haben Sie die Sorge, dass die Länder oder auch die Bundesregierung jetzt Beschlüsse fassen werden, die das Singen wieder fast unmöglich machen?

Erzdiözesankirchenmusikdirektor Richard Mailänder / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erzdiözesankirchenmusikdirektor Richard Mailänder / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Mailänder: Wir sind froh, wenn die Länder und die Bundesregierung um unsere Gesundheitsvorsorge bemüht sind. Wir hoffen sehr, dass die Krankheit sich so entwickelt, dass keine massiven Einschränkungen durch den Staat notwendig sind. Aber wenn sie notwendig sind, sind sie notwendig. Da ist nicht viel zu diskutieren.

DOMRADIO.DE: Wäre es aus Ihrer Sicht nötig, dass von kirchlicher oder vielleicht auch von politischer Seite aus noch was kommt, um die Chöre jetzt während und auch irgendwann mal nach der Pandemie weiterhin zu unterstützen?

Mailänder: Ja, das versuchen wir, indem wir Hilfestellungen geben, wie geprobt werden kann. Das wird aber zusätzlich durch Diskussionen erschwert, die aktuell aufgrund der Energiekrise laufen.

Sollen Kirchen noch geheizt werden oder nicht? Vielfach haben wir gesagt: Geht in die Kirchen, weil die Räume dort höher sind, die Aerosolbelastung ist deutlich geringer, man kann dort besser singen.

Wenn dort aber zehn Grad sind, in Kirchen im Winter, was denkbar ist, dann glaube ich, dass viele von den Alten erst recht nicht mehr kommen. Es spielen also viele Faktoren eine Rolle. Wie das genau laufen wird, wissen wir noch nicht. 

Das Interview führte Michelle Olion. 

 

Quelle:
DR