domradio.de: Wie sieht der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen bisher aus und wie ist die Praxis?
Prof. Lüdicke: Die Praxis ist eigentlich liberaler als die Lehre. In der Praxis glaube ich, dass in den meisten Fällen heute Pfarrer den wiederverheirateten Geschiedenen die Sakramente reichen, dass sie sie auch ins pfarrliche Leben einbinden. Die Lehre der Kirche ist anders: strenge Zurückweisung, Abweisung vom kirchlichen Dienst, Abweisung von Ehrendiensten in der Kirche. Und ich denke, dass die betroffenen Personen gerade unter dieser offiziellen Zurückweisung besonders leiden.
domradio.de: Viele sehen da dringenden Handlungsbedarf. Jetzt hat auch die Bischofskonferenz das Problem angesprochen. Wie weit ist man denn gekommen bei diesem Thema?
Prof. Lüdicke: Das lässt sich eigentlich aus den Stellungnahmen bisher nicht erkennen. Nur dass jetzt die Bischöfe so geballt im Chor davon sprechen, dass was passieren müsse auf diesem Sektor, dass man einen neuen Umgang finden müsse, dass man eine Lösung finden müsse. Aber ich kann nicht erkennen, dass sich da eine Lösung, die den Bischöfen einleuchten würde, einstweilen abzeichnet.
domradio.de: Was wäre Ihrer Meinung nach wirklich wichtig für die Betroffenen?
Prof. Lüdicke: Die Verantwortung in der Gesellschaft ist zunächst einmal, dass die Kirche auch nach außen den Eindruck erweckt, mit ihren eigenen Mitgliedern human und theologisch verantwortet umzugehen. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Es ist ein großer Stein des Anstoßes, wie die Kirche mit dieser Personengruppe umgeht, die ja soziologisch betrachtet nicht anders geartet ist, als die sämtliche übrige Öffentlichkeit auch. Die Scheidungsquoten auch unter den Katholiken liegen bei 40 Prozent, und der Wille, in Partnerschaft zu leben, auch wenn man in einer Ehe gescheitert ist, unterscheidet die Katholiken ja auch nicht von anderen. Also mit dieser Personengruppe so umzugehen, dass es auch gesellschaftlich nachvollziehbar ist, denke ich, das wäre eine Forderung, die jetzt gegenwärtig auch im Blick zu halten wäre.
domradio.de: Das große Problem für die Betroffenen ist ja, dass sie buchstäblich in Sünde leben.
Prof. Lüdicke: Es gibt eine amtliche Definition der Kirche, was eine Sünde ist, was eine schwere Sünde ist. Und nur die schließt nach dem Kirchenrecht von den Sakramenten aus. Eine schwere Sünde ist ein Verhalten eines Menschen, der in Freiheit, im Wissen und im Wollen sich von Gott lossagt, von Gott trennt, das Liebesangebot Gottes zurückweist. Wenn diese lehramtliche Definition der schweren Sünde angewendet würde auf die Personengruppe, von der wir hier reden, ist jedem klar, dass das nicht zusammenpasst. Die Situation derer, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, ist ja vollkommen anders: Ich bin jetzt seit etwa 40 Jahren in der kirchlichen Gerichtsbarkeit tätig, habe unzählige Fälle von Ehenichtigkeit zu verhandeln gehabt und so oft erlebt, dass Menschen mir gesagt haben: "In dieser zweiten Ehe habe ich erfahren, was Liebe ist. In dieser zweiten Ehe sagt mir die Rede von der Liebe Gottes etwas. Das habe ich bisher nie realisieren können." Wie soll ich von solchen Menschen, die mit der Kirche leben wollen, sagen: Sie sagen sich von Gott los, wenn Sie miteinander sexuell verkehren. Und nur das ist, was die Kirche beanstandet.
domradio.de: Wie konkret sieht das Recht auf Eucharistie im Kodex des Kirchenrechts überhaupt aus? Sehen sie da Schritte, die man kirchenrechtlich gehen könnte?
Prof. Lüdicke: Man bräuchte eigentlich keine Schritte gehen, man müsste das kirchliche Recht nur ernst nehmen. Es ist dort ein Grundrecht auf die Sakramente formuliert, und es ist ein Ausschlussgrund formuliert, und der Ausschlussgrund heißt: Wer in offenkundiger schwerer Sünde unbußfertig verharrt, darf die Eucharistie nicht gereicht bekommen. Wenn aber die lehramtliche Definition von schwerer Sünde verwendet würde, dann sähe man, dass man die ganze Personengruppe von der wir hier reden, von dieser Klausel nicht betroffen ist. Mit anderen Worten: Sie haben ein Recht auf die Sakramente, was nicht heißt, dass das Leben in einer zweiten Ehe moralisch unproblematisch wäre, dass es nicht gegen die kirchliche Ordnung wäre, die ja eigentlich an der Unauflöslichkeit der ersten Ehe festhält und damit die zweite Ehe für illegal einschätzen muss. Aber es ist eine moralische Beurteilung der Situation fällig, die nicht auf schwere Sünde hinausläuft und damit auch nicht auf Ausschluss von den Sakramenten. Also: Kirchenrecht ernst nehmen würde vollkommen reichen.
domradio.de: Auf jeden Fall gibt es da noch Klärungsbedarf. Aber zumindest in die Frage, wie die katholische Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen im Arbeitsrecht umgeht, scheint Bewegung gekommen zu sein. Da soll eine Erleichterung geprüft werden. Wie könnte das aussehen?
Prof. Lüdicke: Es ist ja interessant, dass gerade dieses Thema in diesem Zusammenhang angesprochen wird, und dabei erklärt wird, da habe man mehr Spielraum. Im kirchlichen Arbeitsrecht könnte die deutsche Kirche sozusagen rom-unabhängiger entscheiden. Bisher ist es so: Wer eine nach dem Glaubensverständnis und dem Recht der katholischen Kirche ungültige Ehe eingeht, begeht einen schweren Loyalitätsverstoß, auf den normalerweise die Kündigung erfolgt. Nun ist man sich natürlich auch inzwischen klar geworden, dass diese Personengruppe immer größer wird, dass die Mitarbeiter im kirchlichen Dienst immer häufiger in solche Situationen geraten und trotzdem unverzichtbare Mitarbeiter sind. Das heißt, die moralische Beurteilung ihres Privatlebens und ihre Loyalität mit dem kirchlichen Dienst sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Schematisch alle aus dem kirchlichen Dienst zu verweisen oder gar nicht erst aufzunehmen, die in problematischen Lebensverhältnissen sind, das geht einfach nicht mehr. Sowohl vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Zustände und der Glaubwürdigkeit der Kirche als auch vor der Personalrequirierung.
Das Interview führte Monika Weiß.
Hintergrund
Beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen will die katholische Kirche in Deutschland ihr Arbeitsrecht weiterentwickeln. Die Deutsche Bischofskonferenz habe ein Gremium zur Überarbeitung der kirchlichen Grundordnung eingesetzt, sagte Erzbischof Robert Zollitsch am Wochenende in Hannover. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz äußerte sich bei einem Dialogforum der katholischen Kirche. Bei der zweitägigen Veranstaltung trafen sich 300 Delegierte aus allen deutschen Bistümern, darunter 16 Ortsbischöfe.
Mehrere Caritasdirektoren verwiesen in Hannover vor allem auf Probleme mit der katholischen Grundordnung. Dabei geht es unter anderem darum, dass wiederverheirateten Geschiedenen das Arbeitsverhältnis in der Kirche gekündigt werden kann. "Wir brauchen hier Öffnungsklauseln", forderte der Hildesheimer Caritaschef Hans-Jürgen Marcus. Der Osnabrücker Caritasdirektor Gerrit Schulte betonte, das Problem sei in der Breite der Kirche angekommen. In dieser "Notsituation" müsse gehandelt werden.
Auch Bischöfe drängten bei diesem Thema auf Veränderungen. "Bei wiederverheirateten Geschiedenen ist mir auch wichtig, dass wir unsere Regeln im Arbeitsrecht anpassen und nicht so brutal reagieren", sagte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode mahnte eine "Pastoral der Nähe" an. Der Umgang der Kirche mit gescheiterten Beziehungen müsse sich verändern.
Den Vorsitz der neuen Arbeitsgruppe übernahm Zollitsch selbst. Ihr gehören auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx sowie der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick an. "Wir Bischöfe sind bei der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen dran", so der Konferenz-Vorsitzende. Unter anderem steht das Thema auf dem Programm der Vollversammlung der Bischofskonferenz Ende September in Fulda. Bei der Frühjahrsvollversammlung 2013 in Trier ist ein Studientag zu "Frauen in der Kirche" geplant. (KNA)
Kirchenrechtler Lüdicke zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen
"Ein Grundrecht auf die Sakramente"
Beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen will die katholische Kirche in Deutschland ihr Verhalten überdenken. So habe die Deutsche Bischofskonferenz ein Gremium zur Überarbeitung der kirchlichen Grundordnung eingesetzt, sagte Erzbischof Robert Zollitsch in Hannover. Im domradio.de-Interview gibt Kirchenrechtler Prof. Klaus Lüdicke eine Einschätzung der neuen Entwicklung.
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