Kirchenrechtler über Papst Franziskus

"Er passt in keine Schublade"

An Papst Franziskus reiben sich nach Einschätzung des katholischen Kirchenrechtlers Thomas Schüller fortschrittliche Katholiken ebenso wie konservative. Deshalb passe der Heilige Vater auch nicht in eine "bestimmte Schublade".

Autor/in:
Wiebke Rannenberg
Papst Franziskus / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus / © Paul Haring ( KNA )

Den einen gehe er in seinen Entscheidungen und Handlungen nicht weit genug, die anderen fragten entsetzt, wie der Papst "so viel Freiheit in der katholischen Kirche zulassen kann", sagte der Professor an der Universität Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd) kurz vor dem 80. Geburtstag von Franziskus am 17. Dezember.

Machtvolle Amtsausübung

Zudem gebe es seit dem Ersten Vatikanum 1870 "kaum einen Papst, der so machtvoll seine Macht ausgeübt hat". Es seien "noch nie so viele Bischöfe ihres Amtes enthoben worden wie unter Papst Franziskus", sagte Schüller mit Blick auf dessen bisher knapp vierjährige Amtszeit. Diese seien zum Beispiel Vorwürfen von sexuellem Missbrauch nicht nachgegangen oder verhielten sich in Geldangelegenheiten "wie Gutsherren".

Franziskus lasse Pluralität zu, handele in "großer innerer Unabhängigkeit" und lasse "sich nicht in Schubladen einsortieren", sagte der Direktor des Instituts für kanonisches Recht der katholisch-theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Zu verstehen sei Franziskus nur aus der Tradition des Ordens der Jesuiten heraus, dem er seit 1958 angehört. Als Jesuit sei er davon überzeugt, dass Fragen von allen Seiten her diskutiert werden müssten, auch die, in denen er oder die Kirche eigentlich eine feste Meinung hätten, sagte Schüller.

Jesuitische Herangehensweise

So habe der Papst zum Beispiel eine Kommission eingesetzt, die die geschichtliche Rolle der Diakoninnen untersuche. Andererseits stelle er unmissverständlich fest, "die katholische Kirche sieht sich außerstande, Frauen zu Priesterinnen zu weihen". Dieses jesuitische Herangehen, alles zu prüfen, sei zwar für spirituelle Fragen geeignet, sagte der Kirchenrechtler. "Aber wenn sich das mit einer absolutistischen Wahlmonarchie wie dem Papstamt verbindet, führt es zu Verunklarung."

Auch im Streit über die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene bediene er weder Progressive noch Konservative. Typisch jesuitisch sage er: "Es bleibt erst mal bei der bestehenden Lehre, aber ich erwarte von Euch eine neue Geisteshaltung." Franziskus setze auf das Gewissen des Einzelnen. Dieser solle eine am Evangelium und an der Vernunft ausgerichtete Entscheidung treffen.

Doch dieses Grundprinzip sei nicht beliebt in der katholischen Kirche, sagte Schüller. Viele Katholiken wünschten sich klare Vorgaben. Papst Franziskus unterlaufe diese Erwartung und sei "so im positiven Sinne subversiv", sagte der Kirchenrechtler. Deshalb sei Franziskus ein "sehr strenger und anstrengender Papst, aber intellektuell sehr reizvoll".


Quelle:
epd