Sie haben in der Nachmittagshitze geduldig gewartet und stehen nun dicht gedrängt am staubigen Weg, der durch New Kuchigoro führt. Mehrere hundert Flüchtlinge warten hier auf den Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck. Für ihn ist es der dritte Tag seiner Nigeria-Reise und der mit Abstand emotionalste.
Es geht hinaus aus der Glitzer-Hauptstadt Abuja, die in den 80er Jahren auf dem Reißbrett entworfen wurde und nichts mit den übrigen Teilen Nigerias gemein hat. Nur wenige Kilometer vom Zentrum sind die Straßen schlecht und holprig. Strom- und Wasserversorgung ist hier ein großes Problem. Immerhin wurden Holzhütten für die knapp 1.000 Menschen gezimmert, die im IDP-Camp für Binnenflüchtlinge (Internal Displaced People) New Kuchigoro leben. Nur für die jüngsten Kinder können Ehrenamtliche Schulunterricht organisieren. Nach seinem Rundgang durch die Unterkunft wird Gauck sagen: "Wir sind an einer schwangeren Frau vorbeigekommen. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie sie entbindet."
Flucht und Migration nicht allein europäische Probleme
Zuvor hatte Gauck in seiner Rede vor dem Parlament der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS betont, dass Flucht und Migration keine allein europäischen Probleme seien. Afrikanische Staaten müssten ebenfalls Migranten auf der Durchreise sowie Hunderttausende Flüchtlinge beherbergen. Allein in Nigeria seien mehr als zwei Millionen Menschen vor allem aus dem Nordosten auf der Flucht vor der Terrorgruppe Boko Haram.
In Afrikas einwohnerreichstem Staat - Nigeria ist zudem die größte Volkswirtschaft und größter Öllieferant des Kontinents - gibt es zwar viele private Hilfsinitiativen und Unterstützer aus dem Ausland. "Trotzdem ist die Situation vieler Flüchtlinge noch immer schrecklich", sagt der Priester Maurice Kwairanga, der im Bundesstaat Adamawa für die Camps der katholischen Kirche zuständig ist.
Kinder verlieren mehrere Schuljahre
Staatliche Hilfe gibt es in der Tat kaum. In der Vergangenheit haben sich etwa Schulen geweigert, Flüchtlingskinder aus dem Norden aufzunehmen. Kinder, die aus Regionen stammen, in denen es ohnehin kaum Bildungschancen gibt, verlieren so mitunter mehrere Schuljahre.
In New Kuchigoro werden diese Folgen des Terrorismus besonders sichtbar. Aber es gibt nicht nur Leid. "Beeindruckend ist, dass es aus der Not heraus eine Selbstorganisation gibt", so der Bundespräsident. "Die Menschen beklagen nicht einfach ihre Not." Davon zeugen beispielsweise die farbenfrohen Plakate, die einige Kinder für ihn gemalt haben. In unsicherer Handschrift, aber dafür mit Blumen, Elefanten und großen Lachgesichtern verziert steht darauf: "Wir schaffen das".
Nigerianische Bischofskonferenz auf Spendensuche
Unter den Besuchern ist auch die Ordensfrau Anne Falola. Unter ihrem Arm klemmt ein Projektantrag. Schwester Anne, die für die Nigerianische Bischofskonferenz arbeitet, ist gerade dabei, ein neues Programm für die Mädchen und Frauen aufzubauen. Dafür sucht sie Spenden. Plastikstühle etwa, Nähmaschinen und Stoffe oder Material, um daraus Ketten, Taschen und Vasen herzustellen.
Schon jetzt unterstützt sie die Schulen, die Ehrenamtliche eingerichtet haben. Doch das ist ihr nicht genug. "Wir wollen mehr anbieten. Anfangs haben wir gedacht, es sei nur eine Frage der Zeit. Jetzt sind viele Mädchen und Frauen aber schon seit zwei Jahren hier. Ihr Leben steckt fest." Deshalb möchte Schwester Anne zumindest ein paar kleine Weiterbildungsangebote machen.
Zuversicht unter Kirchenvertretern
Als Gauck zu einem Teil der Bewohner von New Kuchigoro spricht, hört die Ordensfrau aufmerksam zu - und wirkt gleichzeitig ein wenig nervös. "Es ist ein Zeichen der Hoffnung. Wir hoffen, dass die Welt endlich auf die Binnenflüchtlinge aufmerksam wird", sagt sie über den Staatsbesuch. Als die Delegation wieder zurück in Richtung ihrer Autos geht, um zum nächsten Termin zu fahren, ergreift die Schwester schließlich ihre Chance. Auf dem Weg zum Ausgang erzählt sie Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt von ihrem Projekt und drückt ihr zum Abschied ihre Liste von Gegenständen in die Hand, die sie dringend braucht. Schwester Anne lächelt erleichtert. "Das war gut. Ich hoffe, dass der Besuch etwas bewirkt."