domradio.de: Womit hängt es zusammen, dass sich die Länder doch relativ einsichtig gezeigt haben und es am Schluss zu diesem Vertrag gekommen ist?
Minninger: Das grenzt schon fast an ein Wunder, muss man sagen. In Zeiten von Krieg und Terrorismus, dass man sich auf ein Ziel verständigen konnte, das ist wirklich Weltgeschichte. Das darf man nicht unterschätzen, auch dass die NGOs, die Zivilgesellschaften gejubelt haben, hat vor allen Dingen mit dem politischen Prozess zu tun. Es geht noch nicht darum, was Paris konkret geliefert hat und ob es das Klima schützt, das wird sich erst in den nächsten Jahren herausstellen, aber allein der Prozess, dass sich 195 Staaten darauf einigen konnten und auch ein gemeinsames Verständnis entwickelt haben: Wir haben ein Problem und das können wir nur gemeinsam angehen.
So sehr wir versucht haben, in den letzten 20 Jahren jeden einzelnen Ländern zuzuschieben, das wird nicht funktionieren. Die Einsicht kam auch daher, dass alle verstanden haben, dass sie selbst gegenüber dem Klimawandel sehr vunerabel sind. Die USA hat es verstanden, die wirklich in den letzen Jahren viel und sehr zerstörerisch von Hurrikans heimgesucht worden ist. Auch Staaten, die plötzlich zu Wort gekommen sind, wie der Iran, der gesagt hat, wir sind Opfer des Klimawandels, von denen seit Jahren nichts zu hören war, haben das dann kundgetan.
Ich glaube, was ganz entscheidend war, war die G7-Präsidentschaft von Deutschland diesen Sommer, das gemeinsame Prägen des Begriffs Dekarbonisierung. Der Ausstieg aus den Fossilen innerhalb von diesem Jahrhundert hat den Grundstein gelegt, dass man jetzt hier gemeinsam nach vorne schreiten konnte und die globale Mobilisierung, dass Klimawandel eben kein grünes Nischenthema mehr ist, sondern wirklich in der gesellschaftlichen Breite angekommen ist. Da hat ja zum Beispiel auch der ökumenische Pilgerweg ganz gut zum Ausdruck gebracht, dass auch von der ökumenischen Seite der Klimawandel als Problem anerkannt und hier auch an Lösungen gearbeitet werden muss.
domradio.de: Schon jetzt leiden viele Entwicklungsländer unter dem globalen Temperaturanstieg und auch wenn die Erwärmung unter zwei Grad bleibt, wird das dennoch große Auswirkungen haben. Was wurde denn zu den kurzfristigen Auswirkungen beschlossen?
Minninger: Es wurde ein ganz umfassendes Solidaritätspaket geschnürt in Paris. Das war auch sehr erstaunlich. Das ist nicht nur vom politischen Prozess erstaunlich, weil das war 20 Jahre überhaupt kein Thema, sondern wirklich auch die konkreten Maßnahmen. Im Gegensatz zur Einsparung von Treibhausgasen. Meines Erachtens ist da in Paris nicht viel rum gekommen, weil das alles ganz freiwillig, lose und locker ist, aber gerade in dem Bereich der Unterstützung der Ärmsten, der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten war Paris ein absoluter Durchbruch.
Hier wurde wirklich ein Instrumentenkoffer vereinbart, der konkret ärmsten Menschen helfen soll, ganz schnell wieder auf die Füße zu kommen - nach kurzfristigen, aber auch nach schleichenden Klimaveränderungen. Es geht konkret darum, dass Klimarisikoversicherungen vereinbart worden sind. Sie helfen vor allen Dingen Menschen in Afrika ganz schnell nach Dürren sich zu erholen oder Menschen im Karibikraum nach einem Supersturm, dass man ganz schnell dafür entschädigt wird und sich rehabilitieren kann. Auch mit schleichenden Klimaveränderungen gab es hier Beschlüsse, wie man zum Beispiel langfristig mit dem Thema klimabedingte Migration und Vertreibung und Flucht umgehen kann. Hier hat man sich auch darauf verständigt, dass man international dazu verstärkt kooperieren möchte. Das ist wirklich ein Durchbruch.
domradio.de: Was ist ein solcher Vertrag wert, welche Schlupflöcher gibt es in dem Vertrag?
Minninger: Ganz viele Schlupflöcher gibt es und das ist natürlich deshalb nach wie vor ein Riesenproblem. Deshalb ist der Prozess auch nicht für uns erledigt. Die Klimapolitik fängt jetzt erst an. In Paris wurde nur der Grundstein gesetzt für internationale Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis, dass wir irgendwie gemeinsam fortschreiten müssen, aber auch nur irgendwie. Es hapert hinten und vorne an legalen Verpflichtungen, alles beruht ganz stark auf Freiwilligkeit und darauf, dass man alle fünf Jahre nachverhandelt. Das ist jetzt eher der Startschuss. Jeder, der glaubt mit Paris wäre das Problem gelöst, der hat sich leider sehr geschnitten, seit Paris geht es jetzt erstmal los.
domradio.de: Das heißt es gibt keine Sanktionen, sollten die Versprechungen, die die verschiedenen Länder gegeben haben, nicht eingehalten werden?
Minninger: Nein, da kann man nur auf eine gesunde Zivilgesellschaft setzen, die immer wieder ihre Regierung anhält, internationale Verpflichtungen auch in nationale Politiken umzusetzen. Wenn Deutschland die Ziele international nicht hält, das hat überhaupt gar keine Auswirkungen. Es ist auch ganz egal, was Deutschland im Grunde genommen in Paris gesagt hat, was daraus folgen muss, ist das Wichtige und zwar der Ausstieg aus der Kohle - daran werden wir Deutschland bemessen.
Das Interview führte Christian Schlegel.