DOMRADIO.DE: Sie sind derzeit 20 Kilometer südlich von Ingolstadt in der katholischen Bildungseinrichtung Oase Steinerskirchen. Zwei Wochen sind sie unterwegs, pro Tag legen Sie etwa 20 Kilometer auf dem Klima-Pilgerweg zurück. Wie war die erste Woche seit dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg, wo Sie gestartet sind?
Dr. Christian Seidel (Mitorganisator des ökumenischen Pilgerwegs für Klimagerechtigkeit): Sie war sehr schön. Am Anfang war es extrem heiß. Aber die Gastfreundschaft, mit der wir in den Gemeinden aufgenommen worden sind, war überwältigend. Ein solcher Pilgerweg und das Pilgern an sich, ist ein Stück Abenteuer. Es kommt immer anders, als man vorher denkt. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, es ist immer anders gekommen, aber besser.
DOMRADIO.DE: Zum siebten Mal sind Sie unterwegs. Der Pilgerweg ist ein ökumenisches Projekt. Weshalb engagieren Sie sich aus Ihrem christlichen Glauben für unser Klima?
Seidel: Weil wir im Glaubensbekenntnis den Glauben an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde und unseren Glauben bekennen. In einer Predigt 2018 in Berlin hat es Erzbischof Schick, einer der damaligen Schirmherren so ausgedrückt: Was ist dieses Bekenntnis wert, wenn wir uns nicht für die Erhaltung der Schöpfung einsetzen?
Außerdem sind wir nicht mehr im jugendlichen Alter, viele von uns haben Kinder und Enkel. Das spielt für viele meiner Mitpilger und für mich eine große Rolle. Wir haben uns gesagt, wir möchten nicht in die Situation unserer Großeltern und Eltern kommen, dass wir irgendwann von unseren Kindern und Enkeln gefragt werden, was habt ihr eigentlich dagegen getan? Ihr habt doch alles gewusst.
DOMRADIO.DE: Sie pilgern zwei Wochen und legen etwa 200 bis 250 Kilometer zu Fuß zurück. Welches Zeichen setzen Sie mit dieser weiten Strecke?
Seidel: Einerseits soll es zeigen, dass wir uns auf dem Pilgerweg auf ein gewisses Minimum reduzieren, bei unserem Gepäck, unserem Rucksack. Darin ist ein Minimum an Kleidung, weil alles, was zusätzlich drin ist, zusätzliches Gewicht ist, was man auch tragen muss. Das soll ein Zeichen dafür sein, dass es auch so geht.
Das Motto des Ökumenischen Pilgerwegs für Klimagerechtigkeit heißt: "Geht doch", was man in zwei verschiedenen Interpretationen lesen kann. Das möchten wir auf dem Pilgerweg vermitteln. Wir möchten auch mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommen, sie vielleicht dazu bewegen, wenn es notwendig ist, noch mal nachzudenken.
DOMRADIO.DE: Mit wem sprechen Sie unterwegs und welche Tipps haben Sie schon bekommen?
Seidel: Zum einen sprechen wir mit den Menschen in den Kirchgemeinden, wo wir untergebracht sind. Da treffen wir meistens auf ein Team, was in der Regel stärker weiblich als männlich besetzt ist. Da ergeben sich ganz zwanglos Gespräche.
Wir verteilen, wenn wir durch Ortschaften laufen und auf Menschen treffen, unsere Flyer, wo etwas über uns und über unsere Forderungen steht. Dann merkt man schnell, ob sich daraus ein Gespräch anschließen kann oder nicht.
Wir werden nie eine Massenbewegung wie "Fridays for Future" sein, mit denen wir quasi schon gemeinsam demonstriert haben. Wir werden diese mediale Aufmerksamkeit nicht erreichen. Aber unser Plus ist, dass wir auf dem Weg direkt mit Menschen ins Gespräch kommen können. Das ist eine andere Gesprächsebene, als wenn man abends in einer Veranstaltung sitzt und diskutiert.
DOMRADIO.DE: Welche Hürden mussten Sie denn auf dem Weg schon meistern?
Seidel: Die Hitze am Anfang. Die ersten zwei Etappen waren sehr heiß. Die meisten von uns waren in Nürnberg auf dem Kirchentag. Von dort sind wir nach dem Abschlussgottesdienst aufgebrochen. Die ersten zwei Tage waren tatsächlich relativ warm, die Zwischenperiode war sehr angenehm und jetzt geht die Temperatur wieder hoch. Auch heute ist es wieder gut 30 Grad warm. Ohne Schatten und wenn die Sonne brennt, ist das schon eine Herausforderung. Das ist die größte Hürde.
DOMRADIO.DE: Am Sonntag werden Sie Ihr Ziel erreichen und in München ankommen. Am Montag feiern Sie um 12 Uhr einen ökumenischen Gottesdienst und werden das Papier stellvertretend an die Bayerische Staatsregierung und die Landeshauptstadt sowie an die katholischen Bistümer und die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern übergeben. Was ist da Ihre Hoffnung?
Seidel: An die Staatsregierung übergeben wir die Resolution schon vorher, am Vormittag in der Staatskanzlei. In Bayern sind demnächst Landtagswahlen. Da finde ich es eine richtige Verfahrensweise, dass die Kirchen sagen, in einer gewissen Karenzzeit vor der Wahl gibt es keine gemeinsamen Auftritte von Regierung und Kirche. Deshalb sind wir schon vorher in der Staatskanzlei.
Was wollen wir bewirken? In der Resolution stehen Forderungen an die deutschen Regierungen, an die Landesregierungen, an die Bundesregierung, an die Kommunen und an die Gemeinden.
In einem zweiten Block sind es Forderungen an die Kirchen und im dritten an uns alle. Wir erhoffen uns natürlich ein Signal aus der Mitte der Gesellschaft.
Auf dem ersten Pilgerweg 2015 kam eine große Bewegung in Paris in Gang. Uns wurde mehrfach gesagt, wir sind nicht in eine Schublade zu stecken, wir sind nicht die üblichen Verdächtigen. Insofern habe ich den Eindruck, dass uns erst mal aufmerksamer zugehört wird. Was dann daraus folgt, wird sich zeigen.
Die erste Forderung an die Regierung, in dem Fall an die Bundesregierung, ist zum Beispiel, das Klimaschutzgesetz nicht zu verwässern. Was da gerade passiert, kann einem die Haare zu Berge stehen lassen, dass nach zwei Schritten vorwärts wieder einer zurück gegangen wird. Man wird später sehen, was es bewirkt.
Wir sind seinerzeit nach Paris gelaufen mit der Forderung, dass ein verbindliches Klimaschutzabkommen auf der Conference of the Parties (COP) verabschiedet wird. Wir wussten natürlich vorher nicht, was da kommt. Wir waren mit Sicherheit auch nicht die Ausschlaggebenden. Aber es ist ein tolles Erlebnis, eine tolle Genugtuung, wenn dann so ein Ergebnis eintritt.
Das Interview führte Katharina Geiger.