Kölner Domdechant mahnt zum Jahrestag des Hamas-Terroranschlags

Ausgrenzung und Antisemitismus die Stirn bieten

Der Terroranschlag der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 jährt sich zum ersten Mal. Die Debatte über den Krieg sowie der Judenhass nimmt zu. Domdechant Robert Kleine wünscht eine Besinnung auf die Gemeinsamkeiten der Menschen.

Domdechant Msgr. Robert Kleine beim Friedensgebet im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domdechant Msgr. Robert Kleine beim Friedensgebet im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie gedenken die Katholiken in Köln der Opfer des Terroranschlags von vor einem Jahr? 

Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti (DR)
Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Kleine: Das Mittagsgebet im Kölner Dom ist immer ein Friedensgebet. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben wir diese Thematik gewählt.

Das wird am Montag im Zeichen der Erinnerung an den 7. Oktober stehen. Der Gottesdienst steht in Erinnerung an die, die damals Opfer des Massakers wurden, aber auch an die, die sich heute noch als Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden. 

Ob sie noch leben, wissen wir nicht. Es ist ein Gedenken an das, was vor einem Jahr barbarisch in diesem Massaker geschah.

DOMRADIO.DE: Vor allem für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist die Situation seit diesem 7. Oktober schwierig geworden. Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist deutlich gestiegen. Für Bundeskanzler Scholz ein unhaltbarer Zustand, dass auf deutschen Straßen wieder "Juden ins Gas" oder Ähnliches skandiert wird. Hätten Sie das vor einem Jahr für möglich gehalten?

Robert Kleine

"Da müssen wir gerade als Kirchen, aber auch als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik als demokratischer Rechtsstaat aufstehen."

Kleine: Bis vor einem Jahr nicht. Es war sogar so, dass am 7. Oktober von mancher Seite Beifall geklatscht wurde. Das kann ich bis heute nicht verstehen. Damit wurde die Büchse der Pandora geöffnet. Anstatt auf der Seite derer zu stehen, die Opfer dieses Massakers wurden, wurden Plakate, die an die Geiseln erinnerten, weggerissen. 

Das geschah in unserem Land, aber vor allem auch in den USA und anderen Ländern. Es kam eine ganz neue Bewegung auf, die pro-palästinensisch war. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber die waren antisemitisch. Ich glaube, das ist eine giftige Verbindung. 

Mehr als 2000 Menschen ziehen bei einer pro Palästina Demonstration unter starkem Polizeischutz durch Berlin-Kreuzberg. / © Paul Zinken (dpa)
Mehr als 2000 Menschen ziehen bei einer pro Palästina Demonstration unter starkem Polizeischutz durch Berlin-Kreuzberg. / © Paul Zinken ( dpa )

Ich kann gegen die aktuelle israelische Regierung sein. Ich kann Kritik an der Politik Netanjahus äußern. Das ist jedoch etwas anderes, als das Existenzrecht Israels grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Ruf "From the river to the sea" sieht keinen israelischen Staat mehr. 

Es ist ein "NoGo", wenn man auf die Ebene der Religion schaut, Mitmenschen jüdischen Glaubens aufgrund ihres Glaubens, anzugehen. Da müssen wir gerade als Kirchen, aber auch als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, als demokratischer Rechtsstaat aufstehen.

DOMRADIO.DE: Wie versuchen die Kirchen und Religionsgemeinschaften speziell in Köln da gegenzusteuern?

Kölner Rat der Religionen

Der Kölner Rat der Religionen ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften und Organisationen, die sich für die Förderung des interreligiösen Dialogs und das friedliche, gleichberechtigte Miteinander aller Kölner*innen einsetzen und jede Form von Diskriminierung, Terror und Gewalt ablehnen.

Kölner "Rat der Religionen" bei der Mahnwache vor dem Dom / © Dominik Becker (DR)
Kölner "Rat der Religionen" bei der Mahnwache vor dem Dom / © Dominik Becker ( DR )

Kleine: Wir sind in einem guten interreligiösen Dialog. Es gibt den Rat der Religionen, der damals von der Stadtspitze unter Oberbürgermeister Schramma einberufen wurde. Wir haben vor kurzem getagt und klar ist, dass auch die Vertreter der anderen religiösen Gruppierungen und Konfessionen sagen, dass das gar nicht geht. 

Es wurde vor über 15 Jahren eine Friedenserklärung unterzeichnet. Hier ist es sogar eine Friedensverpflichtung, weil man sich dazu verpflichten wollte, dass wir, egal welche Religion, welche Nationalität oder welchen Glauben wir haben, miteinander in dieser Stadt leben und das Leben als Stadtgesellschaft gemeinsam prägen. 

Wir haben uns dazu verpflichtet, dass wir gegen Ausgrenzung und gegen Antisemitismus auf die Straße gehen. Das haben wir damals auch als evangelische und katholische Kirche mit einem Schweigegang am Vorabend des 9. November in Gedenken an die Reichspogromnacht getan. Das werden wir auch in diesem Jahr wieder tun. 

Robert Kleine

"Das sind ganz klare Zeichen, die wir als Kirchen und auch als Stadtgesellschaft in Köln setzen."

Da der 9. November in diesem Jahr ein Schabbat, ein Samstag ist, findet die offizielle Feier in der Synagoge am Freitag statt. 

Eingeladen ist auch der Rat der Religionen, um auf die Straße zu gehen und zu sagen, dass das, was damals in der Zeit des Nationalsozialismus geschah, dass Jüdinnen und Juden aufgrund ihres Glaubens verfolgt und am Ende sogar ermordet wurden, nie wieder geschehen darf. Das sind ganz klare Zeichen, die wir als Kirchen und auch als Stadtgesellschaft in Köln setzen.

DOMRADIO.DE: Sie stehen im engen Austausch mit der jüdischen Gemeinde hier in Köln. Was berichtet man Ihnen da von der Situation in Israel?

Robert Kleine

"Ich glaube, dass die Mehrheit schweigt und nicht laut ist."

Kleine: Einerseits gibt es Solidarität, über die sich die Synagogengemeinde sehr freut. Auf der anderen Seite muss sie Anfeindungen erleben, wenn man als Jude oder als Jüdin mit Kippa oder dem Davidstern als Schmuckstück zu erkennen ist. 

Bei uns in Köln war es nicht so schlimm wie an anderen Universitäten, an denen jüdischen Studierenden der Zutritt verwehrt wird. Sie spüren schon, dass die Stimmung in Deutschland in Teilen der Bevölkerung, die laut ist, kippt. Ich glaube, dass die Mehrheit schweigt und nicht laut ist. 

Man hätte nicht gedacht, dass das nach der Geschichte, die von unserem Volk in der Zeit des Naziregimes ausging, noch mal wiederkommt. Hier in Köln lebende Familien überlegen, ob sie in Köln oder in Deutschland bleiben wollen. Das erschüttert mich wirklich zutiefst.

Robert Kleine

"Es geht nur gemeinsam mit den Religionen und den Nationen dieser Welt." 

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kleine: Ich wünsche mir, dass wir mit Verstand auf das schauen, was wir am Mittwoch, dem 9. Oktober, feiern. Da ist der Gedenktag des Abraham, des Stammvaters aller Religionen. Der wird von Juden, Muslimen und Christen verehrt. 

Ich wünsche mir, dass wir in naher Zukunft wieder dazukommen, die Gemeinsamkeiten zu erkennen, dass wir im Glauben einander Schwestern und Brüder sind und dass das, was die IS, die Hamas und auch die Hisbollah an Juden- und Israelhass verbindet, etwas ist, wo wir ein Stoppschild aufzeigen, für das wir auf die Straße gehen.

Wir wollen nicht auf die Straße gehen, um auf deren Seite in Richtung Verfolgung jüdischer Menschen und in Richtung Vernichtung und Zerstörung des Staates Israel zu marschieren. Das geht nicht. 

Ich wünsche mir, dass die klugen Köpfe das erkennen und sagen, dass es nur gemeinsam mit den Religionen und den Nationen dieser Welt geht. Das wünsche ich mir sehr, auch wenn ich aufgrund der Gewaltspirale, die wir im Augenblick im Nahen Osten erleben, noch etwas pessimistisch bin. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Abraham

Patriarch und Vater des Glaubens für Juden, Christen und Muslime. Er hieß zuerst Abram und ist zwischen 2000 und 1700 v. Chr. Aus Ur in Chaldäa/Mesopotamien nach Kanaan eingewandert. Gott verheißt ihm, zum Segen für alle Völker zu werden (Gen 12). Er erhält die Verheißung, Stammvater eines großen Volkes zu werden. Abraham vertraut dem Herrn und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an (Gen 15). Der Herr schließt mit Abraham einen Bund. Bundeszeichen ist die Beschneidung (Gen 17). Abraham starb 175-jährig und wurde in der Höhle Makpela in der Nähe von Mamre beigesetzt.

Pfeilerfigur des Propheten Abraham am Mittelportal der Westfassade des Kölner Doms / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Pfeilerfigur des Propheten Abraham am Mittelportal der Westfassade des Kölner Doms / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )
Quelle:
DR