Das Erzbistum Köln sieht "eine starke Differenz zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Katholiken". Das größte deutsche Bistum hat sich im Laufe der vergangenen vier Wochen im Auftrag von Papst Franziskus um ein Stimmungsbild bemüht zu Themen wie Scheidung, vorehelicher Sex, Verhütungsmittel und homosexuelle Partnerschaften. Das Ergebnis: In allen Punkten denkt die Mehrheit der Gläubigen offenbar völlig anders als die Kirche es lehrt. "Insgesamt wird die Lehre der Kirche als welt- und beziehungsfremd angesehen", stellt das Erzbistum fest.
Die Umfrage ist nicht repräsentativ, das Erzbistum vermutet jedoch, dass das Ergebnis die Einstellung der kirchlich gebundenen, aktiven Katholiken widerspiegelt. Mehrere Tausend Gläubige hätten sich in die Befragung eingebracht, sagte Monsignore Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbistum, am Freitag bei einer Pressekonferenz.
Kardinal Joachim Meisner habe die Ergebnisse an die Deutsche Bischofskonferenz weitergeleitet. "Wir wollten nichts glattbügeln oder schönfärben", betonte Bosbach. Die Befragung dient der Vorbereitung der für nächstes Jahr geplanten Bischofssynode im Vatikan zum Thema Familie. Holger Dörnemann, der Leiter des Referats Ehe und Familienpastoral, sagte in diesem Zusammenhang, die Aktivitäten des Vatikans seien "zurzeit von einer gewissen Grundschnelligkeit" geprägt. Bosbach sagte: "Nun sind wir sehr gespannt, wie die Synode diese Ergebnisse beurteilen und handeln wird."
Nach Einschätzung der Gläubigen leben 80 bis 100 Prozent aller katholischen Paare vor der Heirat schon zusammen, viele sogar über Jahre. Das Erzbistum konstatiert unter den Katholiken auch eine "zunehmende Offenheit für alle möglichen Formen von Partnerschaft (homosexuelle Verbindungen, Patchwork-Familien)". Wiederverheiratete Geschiedene fühlten sich von der Amtskirche diskriminiert und ausgegrenzt.
Auch könnten viele Gläubige nicht verstehen, dass sich die Kirche der Öffnung der standesamtlichen Ehe für Homosexuelle widersetze. Das Erzbistum schreibt: "Die Christen vor Ort und viele Seelsorger und pastorale Dienste drängen nach einer pastoralen, menschlichen Lösung, damit homosexuelle Paare mit oder ohne eingetragene Partnerschaft in den Gemeinden anerkannt werden können."
Die kirchlichen Verbote bei der Empfängnisverhütung werden "von den Gläubigen nicht verstanden und nicht angenommen". Besonders das Verbot von Kondomen, die schließlich auch der Verbreitung von HIV und anderen Erkrankungen vorbeugten, werde nicht akzeptiert. "Durch die für viele Jugendliche unverständliche Haltung der Kirche zu diesen Fragen werden die Kirche und ihre Mitarbeiter/innen kaum mehr als kompetente Gesprächspartnerin wahrgenommen." Der Missbrauchsskandal habe die Glaubwürdigkeit der Kirche zusätzlich tief erschüttert. "Vom Sündenbegriff im Zusammenhang des eigenen Sexualverhaltens, das sich in der gesellschaftlichen Norm bewegt, haben sich die Menschen, auch die engagierten Christen, längst befreit." (dpa)