Kolping kritisiert deutsche Enthaltung zu Lieferkettengesetz

"Ein absolutes Desaster"

Eigentlich hätte die EU an diesem Freitag das europäische Lieferkettengesetz beschließen sollen, doch Deutschland wird sich auf Druck der FDP enthalten. Kolping-Generalsekretär Markus Demele kritisiert das scharf.

Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius (dpa)
Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius ( dpa )

DOMRADIO.DE: Monatelang wurde um ein EU-Lieferkettengesetz gerungen: Grüne und SPD standen dahinter, ebenso ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus Verbänden, Kirchen und Gewerkschaften, weil es um die Sorgfaltspflicht von Unternehmen geht. Auch das Kolpingwerk setzt sich dafür im Rahmen der "Initiative Lieferkettengesetz" ein. Im Dezember hatte es eine Einigung gegeben, aber bei der finalen Abstimmung darüber wird sich Deutschland an diesem Freitag enthalten. Wie bewerten Sie das?

Markus Demele / © DR (DR)
Markus Demele / © DR ( DR )

Markus Demele (Generalsekretär des katholischen Sozialverbandes Kolping International): Es ist in mehrerlei Hinsicht ein absolutes Desaster: Zum einen inhaltlich, denn es wäre eine Riesenchance für die Menschen im globalen Süden gewesen, in der Lieferkette europäischer Unternehmen vor Menschenrechtsverstößen und Umweltbelastungen besser geschützt zu werden und auch was Maßnahmen gegen den Klimawandel angeht. 

Aber vor allem ist es politisch ein fatales Signal: Dieser Prozess wurde mit vielen Mühen unter der letzten Ratspräsidentschaft ausgehandelt und jeder, der ein bisschen auf die Brüsseler Verhandlungen schaut, weiß, wie unglaublich kompliziert das ist und wie viel Energie und demokratischer Mut in solche Verhandlungen hineinfließen. 

Ende letzten Jahres wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der zwar längst nicht so weit geht, wie wir uns das gewünscht hätten, weil zum Beispiel die Finanzwirtschaft nicht in dem Maße berücksichtigt wurde, wie wir es für richtig und angemessen halten. Aber es ist ein Kompromiss, der sogar für die CDU, die EVP-Fraktion und die Liberalen tragbar gewesen war, denn der deutsche Justizminister Marco Buschmann war an den Verhandlungen beteiligt.

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz  / © Britta Pedersen (dpa)
Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz / © Britta Pedersen ( dpa )

Und jetzt kommt auf einmal, ähnlich wie 2023 bei der Diskussion um das Aus für Verbrennermotoren, aus dem FDP-Präsidium ein Beschluss, der sagt: "Nein, das machen wir doch nicht" und Marco Buschmann und Christian Lindner stoppen das Ganze. Es ist ein Skandal: Jeder, der sich auch nur ein bisschen für Politik interessiert und an eine gute politische Zukunft und an ein Europa als Gestaltungsraum glaubt, steht jetzt mit großen Fragezeichen da: Wie kann es sein, dass eine so kleine Partei so wichtige Entscheidungen, die für Millionen von Menschen Relevanz haben, einfach boykottieren kann? 

DOMRADIO.DE: Die FDP argumentiert, dass das neue Lieferkettengesetz Wettbewerbsnachteile und zu viel Bürokratie für den europäischen Markt bringt. In der Vergangenheit hat die EU viele Bürokratiemonster geschaffen, die in der Praxis mehr hindern als helfen. Justizminister Buschmann sprach von einer "Selbststrangulierung". Muss die deutsche Wirtschaft nicht geschützt werden?

Demele: Nein. Die FDP setzt Mythen in die Welt, die alle widerlegt werden können. Gerade erst hat der zuständige Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das mit dafür verantwortlich ist, dass das Lieferketten-Gesetz in Deutschland umgesetzt wird, in einem Interview gesagt, dass auch er sich gewünscht hätte, dass es eine einheitliche europäische Linie gegeben hätte, damit für alle gleiche Regeln gelten. 

Wenn die FDP-Argumentation richtig wäre, dann müssten sich alle großen Unternehmen unisono gegen eine solche Initiative aussprechen. Aber das ist nicht der Fall: Hapag Lloyd, mehrere Reedereien, Aldi Süd oder auch Tchibo: Viele sprechen sich dafür aus und sagen: "Ja, wir wollen ein solches Gesetz! Wir können ein Risikomanagement mit Blick auf Menschenrechte implementieren." Sie haben es teilweise sogar schon umgesetzt und wünschen sich mit so einer Richtlinie Schutz vor den Unternehmen, denen Menschenrechte vollkommen egal sind, die die Kosten für Menschenrechtsschutz externalisieren. Und wo die Menschen, die dort arbeiten das Risiko tragen, wie beim Rana Plaza, das 2013 einstürzte und tausende Menschen unter sich begrub. So etwas darf nicht noch einmal passieren.

Zudem sind die Kosten, die mit dieser Richtlinie verbunden wären, minimal. Einer Studie des "Handelsblatt Research Institutes" zufolge müssten nur 0,005 bis 0,1 Prozent des Umsatzes aufgebracht werden, je nach Unternehmensgröße: Also eine minimale Belastung, die viele Unternehmen heute schon fordern, weil sie die Belastung für angemessen halten und sie in einem guten Verhältnis zum Ziel steht.  

DOMRADIO.DE: Justizminister Buschmann war federführend an dem Brüsseler Kompromiss beteiligt. Wie erklären Sie sich die Kehrtwende?

Demele: Schwer zu sagen, aber ich glaube, die FDP hört hier auf die Unternehmerverbände. Es wurden Briefe geschrieben und vehemente Lobbyarbeit geleistet. Interessant ist aber, dass selbst von den Mitgliedern der Verbände starke Kritik kommt. Ich frage mich: Inwieweit repräsentieren die Unternehmerverbände tatsächlich noch ihre Mitglieder in breiter Front? 

Markus Demele

"Inwieweit repräsentieren die Unternehmerverbände tatsächlich noch ihre Mitglieder in breiter Front?"

Es ist ganz eindeutig, dass das Angebot von Hubertus Heil ausgeschlagen wurde, an anderer Stelle zur Entlastung bei der Bürokratie zu kommen und das zeigt sehr deutlich: Es geht nicht um die Gesamtbelastung der Unternehmen, sondern es geht hier eigentlich um eine wirtschaftsliberale Ideologie der 1990er Jahre, die mit den aktuellen geopolitischen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen überhaupt nichts mehr zu tun hat.

DOMRADIO.DE: Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP politische Vorhaben ihrer Koalitionspartner von SPD und Grünen blockiert: Kindergrundsicherung, Verbrennerverbot, Heizungsgesetz. Was bedeutet das für die politische Kultur in Deutschland? 

Demele: Viele stellen sich natürlich die Frage: Wie zuverlässig ist das, was wir an Diskursen beobachten? Wieviel wert sind Verhandlung und die Kompromissbereitschaft in solchen Prozessen, wenn am Ende jemand gewissermaßen beleidigt das Spielbrett vom Tisch fegt und sagt: "Nee, das machen wir anders!" Zumal, wenn es im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung verbindlich festgeschrieben ist. Ich glaube, das sorgt für ganz viel Frustration, das kann ich zumindest für mich persönlich sagen.

Markus Demele

"Ich hoffe sehr, dass es noch ein Machtwort des Kanzlers geben wird."

Es ist frustrierend, wenn man so lange an diesem Thema mitgearbeitet hat und auf der Zielgeraden einen guten Kompromiss gefunden hat. Und jetzt so ein kleiner Akteur mit Argumenten von vorgestern, die auch noch falsch sind, der das Ganze zunichtemacht. Ich hoffe sehr, dass es noch ein Machtwort des Kanzlers geben wird und er seine Richtlinienkompetenz einsetzt. Zuversichtlich bin ich nicht, aber die besseren Argumente hätte er auf seiner Seite. 

DOMRADIO.DE: Freitag ist die Abstimmung im Rat der EU, Arbeitsminister Heil es schon für gescheitert erklärt. Ist das Lieferkettengesetz tot? Oder wie geht es jetzt weiter? 

Demele: Wir müssen die Abstimmung abwarten, aber wenn sich Deutschland als wichtiges und wirtschaftlich starkes Land in so einer zentralen Frage enthält, dann wirkt das de facto wie eine “Nein”-Stimme. Das könnte eine Signalwirkung entfalten, die dazu führt, dass die gesamte Richtlinie scheitern wird. Ob es so kommen wird, wissen wir nicht. Aber es ist ganz klar, dass Deutschland im Konzert mit anderen großen europäischen Ländern ein starkes Zugpferd gewesen wäre.

Wie es dann weitergehen kann, wissen wir offen gestanden noch nicht. Wir werden das mit Sicherheit in der "Initiative Lieferkettengesetz" ausführlich beraten und schauen, welche politischen Mehrheiten man noch jenseits dieses Kompromisses finden kann. Dazu ist es jetzt noch zu früh und als Christen leben wir in Glaube, Liebe, Hoffnung. Also: Auch die Hoffnung soll Raum haben. Vielleicht wird es auf die eine oder andere Art und Weise doch noch etwas mit dieser wichtigen Richtlinie für Tausende von Menschen. 

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Quelle:
DR