Kolumbien steht vor einer Zeitenwende. Am Sonntag stimmen die Bürger über ein Friedensabkommen ab, das 52 Jahre Bürgerkrieg beenden soll. Hunderttausende Menschen wurden in dem Konflikt getötet, Millionen vertrieben. Es ist eine Mammutaufgabe, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Krieg auf Frieden umzustellen. Für viele Kolumbianer liegt Versöhnung noch in weiter Ferne. Ein Streitpunkt ist der Umgang mit Massakern, Anschlägen und anderen Kriegsverbrechen.
Konservative Opposition gegen Frieden
Umfragen sagen eine Mehrheit für das Friedenswerk von Präsident Juan Manuel Santos und dem Farc-Guerilla-Chef Timochenko voraus. Doch die lautstarke konservative Opposition macht Stimmung gegen den mühsam ausgehandelten Frieden. Im Visier hat sie das zentrale Element des Vertrages: Eine Übergangsjustiz, die keine Vergeltung, sondern Versöhnung und Wahrheitsfindung in den Mittelpunkt stellt.
"Wir stehen vor einem Szenario totaler Straffreiheit", kritisiert der ehemalige Präsident und heutige Senator Álvaro Uribe. Mit dem Abkommen falle Kolumbien in die Hände der Guerilla. "Der Mangel an Gerechtigkeit und Bestrafung wird Rachegefühle statt Vergebung auslösen", prophezeit der rechte Hardliner in Zeitungsinterviews.
Regierung verneint Amnestie für Täter
Die Regierung Santos tritt diesen Befürchtungen entgegen. Sie betont, dass es keine Amnestie für Täter geben werde und dass die Interessen der Opfer durch das vereinbarte Friedenstribunal auf bestmögliche Art gesichert seien. "Dieses Abkommen enthält das Maximum an Gerechtigkeit, das möglich war", sagte Santos dem britischen Sender BBC. Er persönlich habe sich allerdings härtere Strafen für Kriegsverbrecher gewünscht, räumte der Präsident ein.
Auch Tom Koenigs, Sondergesandter der Bundesregierung für Kolumbien, hält die Übergangsjustiz für den richtigen Weg: "Wer vor Gericht Verantwortung übernimmt und um Verzeihung bittet, hat Aussicht auf mildere Strafen. Das ist positiv", sagte der Grünen-Politiker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei ein schmerzhafter Prozess, der aber darauf abziele, "eine Wiederholung solcher Exzesse zu verhindern".
Schaffung eines Friedenstribunals mit internationaler Beteiligung
Die bereits im September vergangenen Jahres vereinbarte Übergangsjustiz in Kolumbien sieht die Schaffung eines speziellen Friedenstribunals mit internationaler Beteiligung und einer Wahrheitskommission vor. Uneinsichtigen Tätern drohen Höchststrafen bis zu 20 Jahre Haft. Sofern die Beschuldigten aber mit dem Gericht zusammenarbeiten, wird das Strafmaß auf acht Jahre begrenzt und kann als gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden. Eine Amnestie ist nur für politisch motivierte Taten vorgesehen, allerdings nicht bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder anderen schweren Taten wie sexistischer Gewalt oder Entführungen.
Die Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Fatou Bensouda, begrüßt diese Lösung. "Ich bin froh, dass der Vertragstext eine Amnestie und Begnadigungen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausschließt", erklärte sie.
Auch Koenigs weist Uribes Kritik als "politisch gefärbte Stellungsnahmen" zurück. Die Übergangsjustiz gelte gleichermaßen für die linken Guerilleros wie für beschuldigte Zivilisten und Staatsangestellte, sagte er. Für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen werden Soldaten verantwortlich gemacht.
Menschenrechtsorganisation sieht Schwachpunkte
Und auch die rechtsextremen paramilitärischen Gruppen, zu denen die Familie Uribe enge Beziehungen unterhalten haben soll, werden schwerster Verbrechen bezichtigt. "In bestimmten Kreisen könnte das Vorgehen der Übergangsjustiz noch Erstaunen auslösen", sagte Koenigs.
Für die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist dagegen just die juristische Vereinbarung der größte Schwachpunkt des Friedensabkommens. Wegen des vielfach vagen Vertragstexts würden Menschenrechtsverletzungen durch Guerilleros und Militärs nicht geahndet. "Geständige und verurteilte Kriegsverbrecher nur mit gemeinnütziger Arbeit zu 'bestrafen' ist in grotesker Weise unangemessen", kritisiert José Miguel Vivanco von Human Rights Watch.