domradio.de: Herr Blomeier, die Wahllokale sind geöffnet. Wo würden Sie Ihr Kreuzchen machen, wenn Sie dürften?
Hans-Hartwig Blomeier (Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung London): Das ist völlig eindeutig, ich darf nur leider nicht. Ich wäre natürlich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Viele gute Gründe sprechen dafür.
domradio.de: Merkt man der Stadt diese große Entscheidung, die ihr heute bevorsteht, schon an?
Blomeier: Das würde ich eher nicht sagen. Der Wahlkampf war öffentlich nicht besonders sichtbar, also ohne große Plakatierung. Was dominiert hat, sind die zahlreichen TV-Debatten und Artikel in den Zeitungen. Wenn man das mit Deutschland vergleicht, war es eher zurückhaltend.
domradio.de: Wie positioniert sich die Anglikanische Kirche in der Brexit-Frage?
Blomeier: Normalerweise ist die Anglikanische Kirche ausgesprochen zurückhaltend, wenn es um politische Fragen geht. Insofern war es bemerkenswert, dass sich der Erzbischof von Canterbury in einem Interview öffentlich und deutlich für einen Verbleib ausgesprochen hat.
domradio.de: Sie haben Hintergrundanalysen zum EU-Referendum erarbeitet. Für wie wahrscheinlich halten Sie den tatsächlichen Austritt Großbritanniens aus der EU heute?
Blomeier: Das ist so ungewiss, wie es nur sein kann. Alle Umfragen sind nach wie vor fifty-fifty. Es gibt nach wie vor mindestens 10 Prozent unentschlossene Wähler, die also heute auf dem Weg zum Wahllokal erst ihre Entscheidung treffen. Insofern müssen wir bis morgen in die frühen Morgenstunden warten, bis wir ein Ergebnis haben. Es wird voraussichtlich ausgesprochen knapp. Jetzt eine Aussage zu treffen, ist beim besten Willen nicht möglich.
domradio.de: Welche Folgen hätte ein Brexit aus Ihrer Sicht?
Blomeier: Es wäre eine klare Lose-Lose-Situation, beide Seiten würden verlieren. Die Europäische Union wäre geschwächt ohne eine starke Volkswirtschaft, ohne einen außen-und sicherheitspolitisch wichtigen Partner wie Großbritannien. Und auch Großbritannien wäre geschwächt, es hätte nicht mehr den Zugang zum gemeinsamen Markt. Insofern kann man eigentlich nur die Daumen drücken und hoffen, dass die, aus meiner Sicht, richtige und vernünftige Entscheidung heute fällt, nämlich für einen Verbleib.
domradio.de: Mobilisieren Sie heute noch Wähler ihr Kreuz an der richtigen Stelle zu machen?
Blomeier: Die Kampagnen-Teams sind noch unterwegs und versuchen, die Leute zu motivieren, heute tatsächlich wählen zu gehen. Die Frage der Wahlbeteiligung ist ein ganz entscheidender Faktor. Wem gelingt es, seine Sympathisanten auch tatsächlich an die Urne zu bringen? Davon wird heute sehr viel abhängen. Ich denke, je höher die Wahlbeteiligung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Briten für einen Verbleib stimmen.
domradio.de: Im Laufe der Nacht werden die Ergebnisse aus den einzelnen Wahlbezirken nach und nach bekannt gegeben. Werden Sie dann morgen sehr früh aufstehen?
Blomeier: Ich werde wesentlich früher aufstehen, es gibt ja leider keine Hochrechnungen, sodass man kurz nach 22 Uhr ein erstes Stimmungsbild hätte, wie das sonst bei Wahlen der Fall ist. Man muss also abwarten. Die ersten Ergebnisse aus einzelnen Wahlkreisen werden nach Mitternacht erwartet, der größte Anteil zwischen 3 und 4 Uhr morgens. Ich werde dann wohl um diese Uhrzeit im Büro sein, um zu sehen, was man denn darüber schreibt und welche Schlussfolgerungen man ziehen kann. Das wird eine kurze Nacht.
Das Interview führte Tobias Fricke.