"Lassen Sie uns unsere Vorurteile und Unterschiede überwinden und uns daran erinnern, dass wir alle Kinder Gottes sind und dass wir uns gegenseitig lieben sollen." Die Worte dieser Predigt klingen erstmal gut – doch verfasst hat die kein Geistlicher, sondern mit ChatGPT ein Chatbot, ein Programm, mit dem jeder nach einer kostenlosen Registrierung in einen Dialog treten kann.
Einfach die Aufforderung "Schreibe eine Predigt über die christliche Nächstenliebe" ins Dialogfeld tippen und innerhalb von Sekunden kommt ein Text, bei dem die sonntäglichen Gottesdienstbesucher wohl nicht sofort merken, dass nicht ein Kind Gottes, sondern ein sogenanntes "textbasiertes Dialogsystem" hinter den Worten steckt. ChatGPT kann auf unzählige Daten zurückgreifen und nimmt für sich in Anspruch, ständig dazu zu lernen, auch wenn nur Daten bis 2021 zur Verfügung stehen.
Gemeinde merkt zuerst den Unterschied nicht
Der evangelische Pfarrer Stephan Seidelmann von der Evangelischen Kirchengemeinde München-Freimann hat das Experiment gewagt und im Gottesdienst eine Predigt vorgelesen, die nicht seine war, sondern die die KI geschrieben hat: "Während ich die Predigt vorgetragen habe, so als ob es meine wäre, ist natürlich niemand aufgestanden und hat gesagt: 'Herr Seidelmann, das sind doch gar nicht Sie.' Aber ich habe natürlich nach der Predigt das Geheimnis gelüftet. Und dann haben die Menschen sich auch getraut zu sagen: 'Ja, das war sehr unemotional oder uninspiriert. Da fehlte völlig die Wärme.'"
Neben der fehlenden menschlichen Anteilnahme, war das Erstellen der Predigt mit einem weiteren Problem verbunden: Welche Bibel nutzt die KI eigentlich? "Der Computer hat sich auf eine Bibelübersetzung gestürzt, von der ich bis heute nicht weiß, wo er die hergenommen hat. Da kam plötzlich Satan mit vor, der an der Stelle so weder in der Einheitsübersetzung noch in der Lutherbibel steht." Dadurch habe die Predigt eine völlig andere Wendung genommen.
Damit spricht Pfarrer Seidelmann gegenüber DOMRADIO.DE einen wunden Punkt der KI an. Die Nutzer haben keinen Anhaltspunkt, woher ChatGPT die Informationen hat. Quellenangaben gibt es nicht. Aber die Antworten kommen schnell und scheinbar ohne Zweifel.
Begeistert der Chatbot, weil die Predigten sonst so schlecht sind?
Skepsis bezügliche der Predigttauglichkeit von ChatGPT gibt es auch von katholischer Seite. Wolfgang Beck ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Der Priester ist zudem einer der Sprecher beim "Wort zum Sonntag".
Er hat in den künstlichen Predigten hochproblematische Aussagen gefunden, da die KI wohl auf Texte mit einem veralteten Religions- und Kirchenbild zurückgegriffen hat.
Die Euphorie, die es auch unter Theologinnen und Theologen angesichts von ChatGPT gebe, kann er nicht nachvollziehen. Da es aber oft genug schlechte Predigten gebe, erkläre sich vielleicht die momentane Begeisterung. Für Beck, der die Studierenden von Sankt Georgen im Predigen schult, kommt es vor allem auf eins an: "Ich halte es für das Zentrale einer Predigt, dass sie Bezüge zwischen biblischen Texten, christlicher Tradition und der Gegenwart sucht. Und das scheint mit der KI bislang so noch nicht möglich zu sein."
Beck wehrt sich sonst gegen die verbreitete digitale Skepsis in der Katholischen Kirche – doch ein Chatbot scheint ihm für die Predigt untauglich. Denn die eigene Lebenserfahrung spielt eine wichtige Rolle bei der Predigtvorbereitung: "Was macht mich als Christ und Christin in meinem persönlichen Suchen und Erleben aus? Und welche Themen beschäftigen eigentlich meine Mitmenschen in dieser Woche oder in diesem Monat?"
Auch Pfarrer Seidelmann will seine Predigten weiterhin selbst schreiben, der Chatbot ist ihm da keine Hilfe: "Es fehlt jede Emotion, auch jede Authentizität. Das Besondere einer Predigt ist ja, dass sie für die Menschen vor Ort geschrieben worden ist." In einer Predigt komme es auf das Zwischenmenschliche und Fingerspitzengefühl an: "Insofern kann ich mir an der Stelle wirklich nicht vorstellen, dass die künstliche Intelligenz Predigten schreibt."
ChatGPT gibt sein Scheitern zu – und stürzt ab!
Auch wenn dem Chatbot offenkundig jede menschliche Anteilnahme fehlt, immerhin gibt er zu, dass er nicht alles kann. Auf die Frage, warum er ein schlechter Prediger sei, kommt die selbstkritische Antwort: " ChatGPT kann Informationen bereitstellen und Texte generieren, aber es kann nicht die Rolle eines menschlichen Predigers ersetzen, der durch persönliche Erfahrungen und Überzeugungen Anleitung und spirituelle Unterstützung bieten kann."
Kaum spuckt er die englische Antwort aus, friert die Seite ein. Die Übersetzung der Antwort kann er schon nicht mehr liefern. Auch die klügste KI scheitert immer noch an überlasteten Servern – oder wurden doch Gefühle verletzt?