Lale Akgün sieht in Gründung muslimischer Dachorganisation keinen Schritt in Richtung Integration

Eine starke Stimme, die nicht alle überzeugt

Auf die Gründung des "Koordinierungsrats der Muslime", eines gemeinsamen Dachverbandes der vier großen muslimischen Verbände in Deutschland reagieren Politik und die Kirchen überwiegend kritisch. Die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) verweist im domradio darauf, der Rat würde nicht die Mehrheit der Muslime vertreten, seine Ziele seien zu konservativ. Die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU - Fraktion, Ingrid Fischbach, begrüßt die Einrichtung.

 (DR)

Für die Erklärung war ein Festtermin gewählt worden: Am Dienstagabend feierten rund 15.000 Muslime in Köln das Maulid, ein Fest zum Geburtstag des Propheten Mohammed. Dort bestätigten die vier führenden islamischen Verbände in Deutschland die Gründung eines "Koordinierungsrats der Muslime", dessen Geschäftsordnung sie bereits Ende März unterzeichnet hatten. Der Rat soll zentraler Ansprechpartner für Politik und Medien sein und gemeinsame Positionen in wichtigen Fragen erarbeiten.

Am Mittwoch reagierten Politiker teils verhalten, teils kritisch auf die Ankündigung. "Die Muslime haben Handlungsfähigkeit bewiesen, wie sie auch von muslimischer Seite immer wieder eingefordert wurde", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Der Zentralrat übernimmt im ersten halben Jahr den Vorsitz über den neuen Rat, dem auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Islamrat und der Verband islamischer Kulturzentren angehören.

Damit kommen die Organisationen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) entgegen, der auf der Islamkonferenz im vergangenen Jahr einen zentralen Ansprechpartner gefordert hatte. Dass der neue Zusammenschluss vor der nächsten Islamkonferenz am 2. Mai bekannt gegeben wurde, werde die Gespräche "positiv inspirieren", lobte ein Ministeriumssprecher. Als zentrale Vertretung der Muslime wollte er den neuen Rat aber nicht bezeichnen: Die "Repräsentativität" sei "noch nicht eindeutig gegeben".

Ein Problem, das für die muslimischen Verbände kaum zu lösen sein wird. Rund 35 Prozent der rund 3,5 Millionen Muslime in Deutschland besuchen nach Einschätzung von Mazyek eine der etwa 2.500 Moscheen. Von diesen wiederum sei "die Mehrheit" in den vier Dachverbänden organisiert, sagt er. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, doch ein Großteil der Muslime in Deutschland wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch den neuen Koordinierungsrat repräsentiert.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, warnt entsprechend vor zu hohen Erwartungen: "Der Islam ist nun mal nicht mit den Kirchen vergleichbar." Dennoch sei es positiv, dass durch die Ankündigung der vier muslimischen Dachverbände "Bewegung" in die Debatte komme: "Das wird dem Dialog mit dem Islam helfen."

Auch der NRW-Integrationsbeauftragte Thomas Kufen (CDU) dämpft zu große Hoffnungen. "Wir können sicher über alles reden - Seelsorge und Moscheebau zum Beispiel", erklärte er in der Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung (NRZ) in Essen (Donnerstagsausgabe). Zu den Themen zähle jedoch nicht der islamische Religionsunterricht. Der "Koordinierungsrat" habe nicht den Status einer Religionsgemeinschaft, da keiner der vier Verbände die dazu nötigen Kriterien erfülle, betonte Kufen.

Dass der neue Koordinierungsrat als größte organisierte muslimische Interessenvertretung gleichwohl automatisch zum Hauptansprechpartner werden könnte, bereitet Kritikern Sorgen. Im Islamrat etwa ist die Organisation Milli Görüs vertreten, die lange vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Insgesamt gelten die vier Verbände als konservativ. Arzu Toker vom neuen religionskritischen "Zentralrat der Ex-Muslime" nannte es einen "Riesenfehler", den Zusammenschluss anzuerkennen.

Islamisten in den Reihen der Verbände würden sich damit ernst genommen fühlen und ihren Kurs bestätigt sehen. Die SPD-Islambeauftragte Lale Akgün äußerte sich im "Rheinischen Merkur" besorgt, sollte der neue Dachverband die "Definitionsmacht über den Islam" bekommen: "Da wäre kein Platz mehr für liberale Ansichten." Mazyek weist solche Vorwürfe als "Ammenmärchen" ab: "Bei uns gibt es liberale wie konservative Teile, Türken, Deutsche, Araber, Schiiten und Aleviten, ein bunter Strauß eben", sagt er.

Der "permanente Ruf der Politik nach der einen Telefonnummer im Islam" sei "völlig kontraproduktiv", sagte der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour dem "Rheinischen Merkur". Er plädiert für runde Tische auf Landesebene, bei denen muslimische Gruppen über Themen wie den Islamunterricht beraten können. Die Entscheidung über diese für viele Muslime wichtige Frage ist Sache der Bundesländer.

Fischbach: Dachverband der Muslime sinnvoll
Anlässlich der Gründung des Dachverbandes der vier großen muslimischen Organisationen in Deutschland erklärt die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU - Fraktion, Ingrid Fischbach, ein gemeinsamer Ansprechpartner für vier derzeit in Deutschland bestehende muslimische Verbände eröffne neue Horizonte in der Zusammenarbeit und im interreligiösen Dialog. Fischbach spricht von einem ersten "Schritt in die richtige Richtung".  Abzuwarten bleibe jedoch, wie sich die neue Institution in der Praxis bewähre, welche Akzeptanz sie fiinde und welche innerreligiösen Schwerpunkte sie vertrete.