domradio.de: Sie sprechen davon, dass sich Katholiken und Protestanten in Deutschland eine Einheit wünschen, die Amtskirche dem aber teils noch im Weg stehe. Ist die Amtskirche da wirklich das Problem?
Norbert Lammert (Bundestagspräsident a.D.): Ich bin ja offenkundig nicht der einzige, der vom Bedürfnis spricht, das gefühlte Zusammengehören der Christen auch nach außen sichtbar werden zu lassen, und das nicht zuletzt auch durch die gemeinsame wechselseitige Einladung zum Abendmahl. Der Papst hat in seiner Erklärung mit dem Lutherischen Weltbund genau diese Erwartung zum Ausdruck gebracht. Ich sehe, soweit ich die Diskussion überschaue, keine überzeugenden theologischen Argumente, die gegen eine solche Einladung sprechen. In dem, unter vielen Gesichtspunkten denkwürdigen, gemeinsamen Papier, das die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD zum Reformationsjubiläum veröffentlicht haben, werden auch nicht Glaubensunterschiede als Hindernis bezeichnet, sondern das unterschiedliche Amtsverständnis.
domradio.de: Bauen Sie nicht unnötig Druck auf die Verhandlungspartner auf, wenn Sie sich als gesellschaftlich-politische Stimme einmischen in den kirchlichen Dialog?
Lammert: Nein. Ich äußere mich als Christ und nicht als politischer Amtsträger. Ich fühle mich da auch in einer ganz und gar nicht exklusiven Rolle. Wenn man die Vielzahl der Veranstaltungen in diesem gemeinsamen Reformationsjahr Revue passieren lässt, dann kommt diese Erwartungshaltung immer wieder ganz unmissverständlich zum Ausdruck.
domradio.de: Heißt das, wir als protestantische und katholische Laien sollten da auch mehr Druck auf die Amtskirche ausüben?
Lammert: Jedenfalls sollten wir die Freiheit eines Christenmenschen, die ja nicht nur Martin Luther aus guten Gründen beschrieben und beschworen hat, sondern die auch Papst Franziskus immer wieder ausdrücklich reklamiert, nicht nur als Prinzip ernst nehmen, sondern als verfügbare Handlungsoption wahrnehmen.
domradio.de: Wie kommen wir ihrer Meinung nach auf besten, schnellsten und direktesten Weg zu dieser Einheit?
Lammert: Das kann ich nicht allgemeingültig beantworten, weil dann das Missverständnis aufkommt, ich wolle von Seiten der Politik auf eine kirchliche, religiöse Frage Einfluss nehmen. Das muss man dann schon auseinanderhalten. Den Staat, die politisch verfasste Gesellschaft, geht diese Frage beinahe nichts an, aber diejenigen Staatsbürger, die sich gleichzeitig als Katholiken oder Protestanten verstehen, geht sie natürlich in einer ganz unmittelbaren Weise an. Nach meinem Verständnis, nicht zuletzt des zweiten Vatikanischen Konzils, ist es eben nicht nur eine Zuständigkeit der verfassten Amtskirche des aufgeklärten Volkes Gottes.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.