Es ist wohl davon auszugehen, dass die Leitung der sächsischen Landeskirche bei ihrer Krisensitzung am Montagabend das Rücktrittsangebot von Bischof Carsten Rentzing annimmt.
Vor genau zehn Tagen hatte dieser mitgeteilt: "Um Schaden von meiner Kirche abzuwenden, habe ich mich entschieden, mein Amt zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. (...) Positionen, die ich vor 30 Jahren vertreten habe, teile ich heute nicht mehr." Der Rücktritt schien zunächst überraschend, im weiteren Verlauf und mit dem Bekanntwerden weiterer Details jedoch unabwendbar.
Ein Präzedenzfall
Die rasanten Entwicklungen seitdem, die Formierung und Äußerungen der Pro- und Kontra-Fraktionen, haben die bestehenden Gräben zwischen konservativen und liberalen Protestanten in Sachsen noch deutlich vertieft - und stellen die als eher konservativ geltende Landeskirche vor große Herausforderungen: Wie die zunehmend verfeindeten Lager befrieden, wie die Causa Rentzing aufarbeiten und wie einen geeigneten Nachfolger in der dieser aufgeheizten Situation finden?
Das Ganze ist ein Präzedenzfall - in den vergangenen Jahrzehnten gab es keinen Bischof, der aus politischen Gründen zurücktrat. Doch wie kam es eigentlichen dazu?
Mitte September war eine Debatte darum entbrannt, dass Rentzing Mitglied der schlagenden Burschenschaft "Alten Prager Landsmannschaft Hercynia" ist und 2013 einen Vortrag in der Berliner "Bibliothek des Konservatismus" gehalten hat, welche aus Sicht von Kritikern dem Umfeld der Neuen Rechten zuzuordnen ist. Leipziger Pfarrer hatten den 52-Jährigen daraufhin per Online-Petition zur Distanzierung von beidem aufgefordert. Dies waren die öffentlich bekannten Fakten, die das Rücktrittsschreiben des Bischofs am 11. Oktober so überraschend aussehen ließen.
"Bibliothek des Konservatismus"
In der Tat waren diese Punkte auch nicht der Grund für den Rücktritt. Kein Bischof tritt zurück, weil er in einer schlagenden Verbindung war. Auch nicht, weil 900 Menschen eine Petition unterzeinchen. Und was die "Bibliothek des Konservatismus" betrifft: Rentzings Vortrag war offenbar eine kritische Auseinandersetzung mit dem umstrittenen EKD-Familienpapier, die sich dem Vernehmen nach aber im Rahmen der damaligen Diskussion bewegte. Zudem stellten in der "Bibliothek" in den vergangenen beiden Jahren auch die "Zeit"-Redakteure Jens Jessen und Ulrich Greiner sowie der "FAZ"-Redakteur Patrick Bahners ihre Bücher vor.
Tags nach Rentzings Rücktrittsschreiben kam der eigentliche Grund ans Tageslicht: Er hatte als Student 1989 bis 1992 in der rechtskonservativen Zeitschrift "Fragmente" (Auflagenhöhe 100 Stück) Texte verfasst, die das sächsische Landeskirchenamt jetzt als "elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich" einstuft.
Unter anderem schrieb Rentzing damals: "Dass ein Staat, (...) in dem Feigheit vor Tapferkeit, Selbstverwirklichung vor Freiheit, Leben vor Ehre gilt, dem Untergang geweiht ist, dürfte kaum bezweifelt werden." Oder auch: "An die Stelle der einsamen Entscheidungen großer Männer setzt man vielfältige Beratungen und Mehrheitsentscheidungen, die letztlich die Nivellierung der Geister fördert." Mit Blick auf die deutsche Vergangenheit sprach er von einer "Bewältigungspsychose".
Die Landeskirche bezeichnet Rentzings jetzige Distanzierung von den damaligen Positionen als glaubwürdig. Die "Salamitaktik" der Offenlegung und dass Rentzing seine Erklärung nur vor der Kirchenleitung abgab, öffentlich aber bis jetzt zu den eigentlichen Gründen des Rücktritts schwieg, hat die Sache zusätzlich verschärft.
Online Petition mit nicht verifizierten Eingaben
Eher kontraproduktiv dürfte auch eine Petion zum Verbleib Rentzings sein, die vor einigen Tagen anonym auf der umstrittenen, rechtskonservativen Internetplattform "CitizenGo" gestartet wurde. Über 19.000 Personen "unterzeichneten" sie bereits - doch werden die Eingaben nicht verifiziert: Jedermann kann dort mehrfach als "Mickey Mouse" oder "Papst Franziskus" für Rentzing votieren.
Dresdens katholischer Bischof Heinrich Timmerevers äußerte sich bisher mit keinem Wort öffentlich zum Rücktritt. Dabei gilt ihr Verhältnis als harmonisch: Beide fuhren mit Blick auf Äußerungen zu gesellschaftspolitischen Themen einen Kurs weitgehend unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. Dass Timmerevers kein Wort über die gute Zusammenarbeit mit Rentzing verlauten ließ, dürfte die Landeskirche auch wenig hilfreich in der Sache finden.
Die Verkettung all dieser Umstände hat die Situation mehr als verfahren gemacht. Rentzings Vorgänger, Jochen Bohl und Volker Kress, äußerten am Wochenende gemeinsam ihre "tiefe Sorge". Die Ereignisse hätten "in den letzten Tagen viele Menschen erschreckt, gar verstört". Sie appellierten an alle Mitglieder der Landeskirche, "an der Einheit unserer Kirche festzuhalten, ohne den nötigen inhaltlichen Auseinandersetzungen auszuweichen". Man darf gespannt sein, ob und wie der Landeskirche nun ein Neuanfang gelingt.