Die Welt hat sich weiter gedreht, das Recht in Deutschland hat sich verändert, seit der Bundestag im Dezember 2015 das Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet hat. Wenn das Landgericht Hamburg ab diesem Donnerstag über die Methoden des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" zu Gericht sitzt, urteilen die Richter auf einer mittlerweile veralteten Rechtsgrundlage. Dennoch weist der Prozess um Beihilfe zur Selbsttötung auch in die Zukunft.
Verhandelt werden zwei Fälle von Suizidbeihilfe des Vereins "Sterbehilfe Deutschland", der vom ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch gegründet wurde. Kusch selber ist mit einem blauen Auge davongekommen. Die Richter ließen die Anklage gegen ihn nicht zur Hauptverhandlung zu. Angeklagt ist aber der Mediziner und Psychiater Johann Friedrich S. (75), dem die Staatsanwaltschaft Totschlag und unterlassene Hilfeleistung vorwirft.
Suizid von zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen
Im Mittelpunkt des Verfahrens steht der Suizid von zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen, die am 10. November 2012 in Anwesenheit des Arztes eine Überdosis eines verschreibungspflichtigen Medikaments genommen hatten und gestorben waren. Zuvor hatten sie 2.000 Euro an "Sterbehilfe Deutschland" gezahlt. Kusch soll den Frauen das Medikament beschafft haben. Beide Frauen starben an einer Überdosis.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mediziner vor, die Tatherrschaft über die Selbsttötung gehabt und die Frauen in einem psychologischen Gutachten einseitig in Richtung Suizid beraten zu haben. Auch habe er die Frauen nicht angemessen über Alternativen zum Suizid aufgeklärt - Vorwürfe, die nicht einfach nachzuweisen sein werden.
Große Bedeutung für die Sterbehilfe-Diskussion in Deutschland
Nach Einschätzung der Deutschen Stiftung Patientenschutz hat die Verhandlung große Bedeutung für die Sterbehilfe-Diskussion in Deutschland. Es gehe schließlich auch um die Frage, ob das Angebot der organisierten Suizidbeihilfe erst für die entsprechende Nachfrage sorgt, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Ihre Befürworter und professionelle Suizidhelfer streiten das immer wieder ab." Der Bundestag habe aber 2015 genau diese Gefahr gesehen und deshalb jeder Form der organisierten Suizidbeihilfe einen Riegel vorgeschoben.
Nach Einschätzung von Brysch zeigt das Vorgehen des Mediziners auch, welche Eigendynamik eine Ausweitung die Suizidbeihilfe erlangen kann. Schließlich seien die beiden Seniorinnen nicht schwerstkrank, sondern lediglich lebenssatt gewesen. Der Patientenschützer verweist dabei auch auf die Schweiz, wo immer mehr Menschen die Suizidbeihilfe in Anspruch nähmen, die nicht sterbenskrank sind. Dazu passe, dass die Sterbehilfeorganisation Exit dort eine gezielte Debatte für den Altersfreitod betreibe. So sollen Senioren weniger gravierende Leiden nachweisen müssen als jüngere Patienten, um ein Sterbemittel verschrieben zu erhalten. Selbsttötung als Ausweg für Lebensmüde könnte sich zu einem Geschäftsmodell etablieren, mahnt Brysch.
Bundestag beschließt 2015 ein Verbot
Der ehemalige CDU-Politiker Kusch polarisiert schon seit Jahren. 2008 hatte er mit seinem damaligen Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe" fünf Menschen beim Suizid geholfen und dafür jeweils 8.000 Euro kassiert. Nachdem ihm das vor Gericht verboten worden war, gründete er 2010 den Verein "Sterbehilfe Deutschland", der Patienten bei der Selbsttötung begleitet - ohne Honorar, aber nur bei bezahlter Mitgliedschaft. Allein 2015 will "Sterbehilfe Deutschland" 73 Sterbewillige beim Suizid begleitet haben.
Damit allerdings war Schluss, seit der Bundestag Ende 2015 ein Verbot aller organisierten ("geschäftsmäßigen") oder sogar auf Gewinn ausgerichteten Formen von Suizidbeihilfe beschloss. Nach dem Gesetz bleiben nahestehende Personen eines Todkranken allerdings von der Strafandrohung ausgenommen.
Seitdem hat "Sterbehilfe Deutschland" nach eigenen Angaben keine Beihilfe zur Selbsttötung mehr geleistet. Allerdings haben die Organisation und mehrere ihrer Mitglieder Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Karlsruhe hat angekündigt, über die weit mehr als ein Dutzend Verfassungsbeschwerden gegen das Sterbehilfegesetz noch in diesem Jahr zu entscheiden.