Ungarns Bischofskonferenz-Vorsitzender Andras Veres (63) sieht die Gesellschaft seines Landes inmitten eines Prozesses von Säkularisierung und Neuformierung des Religiösen, ähnlich wie in anderen Ländern.
"Auch die katholische Kirche in Ungarn befindet sich in einem radikalen Wandel, der sowohl negative als auch positive Züge
aufweist", sagte der Bischof von Györ im Interview der Wiener Presseagentur Kathpress. Die Kirche sei eine lebendige Gemeinschaft, die sich ständig verändere, so Veres kurz vor einem dreitägigen Ungarn-Besuch von Papst Franziskus ab Freitag.
Säkularisierung in Ungarn
In kommunistischer Zeit seien zwei Generationen praktisch ohne religiöse Erziehung aufgewachsen, was freilich auch deren Kinder betreffe. Die 30 Jahre seit der politischen Wende hätten "nicht ausgereicht, um uns in der Weitergabe des Glaubens zu stärken", räumte der Geistliche ein. Zudem habe ein relativer gesellschaftlicher Wohlstand viele Menschen von Gott und der Kirche entfernt. "Dieser doppelte Effekt hat zu einer starken Säkularisierung geführt."
Zugleich sieht Veres in der aktuellen Situation Positives: "Wir freuen uns, dass die spirituellen Bewegungen und Pfarrgruppen durch eine bewusste missionarische Tätigkeit Ergebnisse erzielen können." Auch die wieder gestiegene Zahl junger Menschen, die an kirchlichen Schulen ihre Ausbildung machten, gebe Hoffnung. Der Bischof hob überdies die Freiheit der Kirche in Ungarn hervor. "Heute können wir ohne Probleme unseren Glauben zum Ausdruck bringen. Wir können in der Kirche und auch außerhalb, etwa für Schüler, unsere religiösen Programme organisieren. Das war früher nicht so."
Weitergabe des Glaubens
Zwar habe Kirche wie andernorts Probleme, den Glauben in der modernen Zeit weiterzugeben; aber: "Wir suchen die Möglichkeiten und Situationen, wo wir über die christlichen Werte reden können", sagte der Vorsitzende der ungarischen Bischöfe. Nicht nur Gläubigen sei wichtig, "dass christliche Werte in den Gesetzen und auch im öffentlichen Leben spürbar sind".
Vermutungen über Entscheidung des Papstes
Der Pastoralbesuch des Papstes in Ungarn beginnt am Freitag (28. bis 30. April). Nach einem nur wenige Stunden dauernden Aufenthalt in Budapest zur Feier der Schlussmesse des Eucharistischen Weltkongresse im September 2021 reist Franziskus damit zum zweiten Mal in seiner zehnjährigen Amtszeit in Ungarns Hauptstadt.
Auch er könne nur vermuten, was hinter der Entscheidung des Papstes stecke, die Einladung nach Ungarn anzunehmen, so Veres. Trotz der Corona-Beschränkungen, die internationale Reisen damals deutlich einschränkten, hatten an der Papstmesse 2021 in Budapest rund 100.000 Menschen teilgenommen. "Es ist sicher, dass der Heilige Vater von der Anwesenheit einer so großen Zahl von ungarischen Gläubigen berührt war. Und deshalb sagte er bei seinem Abschied, dass er gerne zu einem weiteren Pastoralbesuch nach Ungarn kommen würde."
"Eine große Ehre"
Die erneute Papst-Visite sei für die Ungarn "eine große Ehre", so Veres. Nicht nur Katholiken, auch viele Menschen anderer Konfessionen und sogar Nichtreligiöse freuten sich auf Franziskus. "Meine größte Hoffnung ist, dass es ihm gelingen wird, uns Ungarn Antworten und Leitlinien zu geben, die uns helfen, unseren Glauben zu stärken." Auch hoffe er, so Veres, "dass er in dieser äußerst verwirrten und verletzten Situation in Europa den Gläubigen und Nichtgläubigen
gleichermaßen Orientierung und Anleitung geben wird".