In seinem norditalienischen Geburtsort Sotto il Monte, aber auch in vielen römischen Familien wird er schon lange wie ein Heiliger verehrt: Johannes XXIII., den die Italiener ganz vertraut "il Papa buono" nennen, den guten Papst. Viele aus der Generation der heute über 75-Jährigen erinnern sich noch lebhaft an den beleibten Mann mit dem gütigen Lachen, der aus ärmlichen Verhältnissen einer Bauernfamilie mit zwölf Geschwistern kommend erst zum vatikanischen Spitzendiplomaten, dann zum Patriarchen von Venedig aufstieg und schließlich Papst wurde. Nun soll er am 27. April, rund ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, die höchste Stufe erreichen, die ein Sterblicher erreichen kann: Als Heiliger kann er dann von Katholiken überall auf der Welt in ihren Gebetsanliegen als Fürsprecher angerufen werden.
Im Heimatort des Papstes südlich des Comer Sees freut sich vor allem einer auf diesen Tag: der inzwischen 98-jährige Loris Capovilla, der als langjähriger Sekretär des neuen Heiligen schon seit vielen Jahrzehnten dessen Nachlassverwalter auf Erden ist. Als Papst Franziskus im Januar verkündete, dass er Capovilla in den Kardinalsstand erhebt, läuteten in dem 4.000-Seelen-Städtchen alle Kirchenglocken.
Erfrischend menschlich
Mit den freudigen Reaktionen seiner Landsleute haben im Grunde schon die Feierlichkeiten zur Heiligsprechung begonnen. Mit Johannes XXIII., bürgerlich Angelo Giuseppe Roncalli, verbindet sich vieles, was Ende der 50er Jahre im Vatikan wie eine Brise belebender Bergluft wirkte: Er sprach so, dass auch einfache Menschen ihn verstanden. Er gab den Gläubigen auf dem Petersplatz Küsse für ihre Kinder mit auf den Weg. Er verließ als erster Papst nach fast 100 Jahren Rom und reiste mit dem Zug nach Assisi und Loreto - kurzum: Er interpretierte das Papsttum, das unter seinen fünf Vorgängern von Leo XIII. bis Pius XII. von der Lebenswirklichkeit der Menschen im 20. Jahrhundert relativ weit entrückt schien, erfrischend menschlich.
Anekdoten und Bonmots um und von Johannes XXIII. füllen ganze Bücher. Manche Zeitgenossen, die zuvor den aristokratischen Hofstaat Pius XII. gewohnt waren, hielten die Äußerungen des Bauernsohnes Angelo Giuseppe Roncalli für platt und peinlich. Doch manche erkannten darin schon damals ein Stilmittel des Seelsorgers und Kirchendiplomaten, um Kritiker zu entwaffnen und ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Überliefert ist, dass Johannes XXIII. gern spontan in den Vatikanischen Gärten spazierte, so dass die Kuppel des Petersdoms nicht rechtzeitig für Besucher gesperrt werden konnte. "Warum die Kuppel sperren?" fragte der Papst. – "Weil all die Leute Sie sehen könnten, Heiligkeit." Johannes XXIII. versicherte: "Keine Sorge - ich verspreche, nichts Anstößiges zu tun."
Vorsichtige Annäherung der Kirche an die Moderne
Doch Johannes XXIII. stand nicht nur für Menschlichkeit und Unkompliziertheit. Als Kirchenhistoriker und Diplomat verfolgte er in seinem Pontifikat ein ehrgeiziges und nicht ungefährliches Projekt:
Er versuchte eine vorsichtige Annäherung der Kirche an die Moderne und ihren Pluralismus. Schon in seiner Zeit als Diplomat in Istanbul und später in Paris hatte er bemerkt, dass sich ein Graben auftat zwischen der katholischen Kirche, die scheinbar unerschütterlich in ihren Dogmen, Ritualen und Traditionen ruhte, und der aufgewühlten Menschheit des 20. Jahrhunderts.
Weil er diesen Graben überbrücken wollte, sprach er schon damals mit Menschen anderer Traditionen und Weltanschauungen: mit Juden und Orthodoxen, Atheisten und Marxisten. Als Papst berief er das Zweite Vatikanischen Konzil (1962-1965) ein, mit dem er die Kirche so erneuern wollte, dass sie in der Moderne nicht mehr wie ein Fremdkörper und Relikt aus längst vergangener Zeit wahrgenommen wurde. Wie die meisten Konzilien der Geschichte hat auch dieses Reformkonzil Streit und Konflikte ausgelöst. Bis heute ringen die Strömungen der Traditionalisten, der Progressiven und der "kirchlichen Mitte" um die Interpretation und Anwendung der Konzilsbeschlüsse. Dabei geht es nicht nur um eine angemessene Feier des Gottesdienstes, sondern auch darum, wie die Kirche mit den Überzeugungen Andersglaubender umgeht.
Wenn nun Franziskus seinen populären Vorgänger ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod heiligspricht, wird viel über das Konzil, vielleicht aber noch mehr über die Parallelen zwischen den beiden Päpsten gesprochen werden. Ähnlich wie damals der bauernschlaue und gütige "Papa Giovanni" hat auch der neue "Papa Francesco" vor allem mit seinen Gesten und mit seiner Menschlichkeit die Herzen der Gläubigen, aber auch vieler Kirchenferner, erobert. Auch mit dem neuen Papst verbinden manche die Hoffnung auf epochale Veränderungen und Öffnungen - obwohl von einem erneuten Konzil bislang nur selten die Rede ist. Noch immer sind die Folgen der von Johannes XXIII. angestoßenen Reformen in der katholischen Kirche nicht ganz verdaut. Mit seiner Heiligsprechung wird nun aber auch das Konzil ein Stück weit in eine andere Sphäre gerückt.
Papst Franziskus spricht am Sonntag, den 27. April seinen Vorvorgänger Johannes XXIII. (1958-1963) heilig. domradio.de überträgt live in Bild und Ton aus Rom ab 10 Uhr in Kooperation mit EWTN.