Katholiken sind in Ostdeutschland eine Rarität. In Sachsen-Anhalt etwa machen sie nur 3,5 Prozent der Bevölkerung aus. Und auch die Protestanten bilden in dem Bundesland mit 13,9 Prozent eine überschaubare Minderheit. Umso erstaunlicher ist es, dass die sogenannten Lebenswende-Feiern in den neuen Bundesländern boomen.
Diese Angebote der Kirchen richten sich an konfessionslose Jugendliche. Sie sollen eine Alternative zu den "Jugendweihen" bieten, die auch nach dem Ende der DDR weit verbreitet sind. Musik, Ansprachen, Gratulationen, Geschenke - für viele Ostdeutsche gehört das Ritual einer "Jugendweihe" zum Übergang von der Kindheit zur Jugend immer noch irgendwie dazu, wenn auch ohne Bekenntnis zum sozialistischen Staat. Vor 19 Jahren reagierte der damalige Erfurter Dompfarrer und heutige Weihbischof Reinhard Hauke darauf. Er konzipierte als Alternative eine christlich geprägte "Feier der Lebenswende" für ungetaufte Jugendliche - ein Modell, das Schule machte.
Ein Modell, das Schule machte
In besonderer Weise zeigt sich der Trend in der Saale-Stadt Halle:
Dort stieg die Zahl von 26 zu Beginn der Initiative vor einigen Jahren auf mehr als 600, die sich bereits für 2017 zu solchen Lebenswende-Feiern vorangemeldet haben. Neu mit dabei: der evangelische Kirchenkreis Halle. Er schloss mit dem katholischen Dekanat Halle jetzt eine bundesweit einmalige ökumenische Vereinbarung zur Ausrichtung von Lebenswende-Feiern. Ab August bieten beide große Kirchen in der Region die Initiative gemeinsam an. Ein Grund dafür: die hohe Nachfrage. "Allein konnten wir es gar nicht mehr stemmen", erklärt Diakon Reinhard Feuersträter, der das Projekt seit Jahren neben seiner Tätigkeit als Krankenhausseelsorger im Elisabeth-Krankenhaus managt.
Jetzt stellen beide Seiten jeweils eine halbe Stelle für die Organisation des Events zur Verfügung. Um Mission gehe es dabei nicht, betont der evangelische Superintendent Hans-Jürgen Kant. Auch Feuersträter sagt: "Das ist keine Rekrutierungsveranstaltung für die Kirche. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie vereinnahmt werden sollen, sind sie ganz schnell weg."
Viele Vorbereitungstreffen
Ein Geheimnis des Erfolges sind seiner Meinung nach die mehrmaligen Vorbereitungstreffen, die anders als bei den meisten "Jugendweihen" dem Ereignis voran gehen. Außerdem lässt er die Jugendlichen den ersten Teil der Feiern, die in der katholischen Moritzkirche stattfinden, selbst gestalten. Sie entzünden ihre Kerzen an der Osterkerze, am Schluss segnet Feuersträter die Jungen und Mädchen. Nebenbei bringt er dann auch Geschichten aus der Bibel mit ein. "Ein Vater erzählte mir kürzlich: 'Da haben Sie ja was angerichtet. Meine Tochter wollte tatsächlich, dass ich ihr eine Bibel kaufe, jetzt liest sie ständig darin'", sagt Feuersträter und schmunzelt.
Für viele Menschen ist eine solche Lebenswende-Feier der erste persönliche Kontakt mit der Kirche. Auch wenn sie in der Regel nicht wiederkommen, um sich taufen zu lassen: "Sie kommen aber wieder, um das Gespräch mit mir zu suchen", so der Theologe. Er will das Angebot bewusst niedrigschwellig halten - und versteht es damit auch nicht als Konkurrenz zur katholischen Firmung.
Feuersträter kann sich vorstellen, dass das Projekt auch zum Exportschlager in Westdeutschland werden könnte. Auch wenn die Menschen dort im Durchschnitt noch häufiger getauft sind als im Osten, geht der Anteil der Kirchenmitglieder stetig zurück - ein möglicher Weg für die Kirchen also, den Kontakt zu den Menschen nicht zu verlieren. "Ich werde momentan im Westen ziemlich rumgereicht und soll von dem Projekt erzählen", sagt der 63-Jährige, der aus Westfalen in Osten kam. Im vergangenen November führte ihn ein Vortrag darüber ins Bistum Trier, kürzlich meldete sich sogar ein Interessent aus Österreich.
Interesse nimmt zu
"Eins zu eins lässt sich das Modell nicht übertragen. Aber etwas in dieser Richtung", meint Feuersträter. So sieht es auch sein Mitstreiter Kant, der zumindest in der Evangelische Kirche in Mitteldeutschland großes Interesse an dem Projekt wahrnimmt. Es bundesweit zu verankern, sei natürlich eine größere Herausforderung, betont der Superintendent. "Die Gesamtkirche ist ein schwerer Tanker", sagt er. "Aber fest steht: Die Pfarrer an der Basis interessieren sich sehr."