Leipziger Pfarrer plädiert nach Anschlag für Toleranz

"Zwischen nationalistischem und weltoffenem Denken liegt manchmal nur eine Haustür"

Fast auf den Tag 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen schockiert ein Anschlag auf ein Leipziger Asylbewerberheim. Der örtliche katholische Pfarrer - selbst mit ausländischen Wurzeln - tritt für ein offenes und tolerantes Miteinander ein.

Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas (dpa)
Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas ( dpa )

DOMRADIO.DE: Zu ihrem Einzugsbereich gehört auch der Leipziger Stadtteil Grünau. Was haben Sie zuerst gedacht, als Sie von dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim dort gehört haben?

Andrzej Glombitza (Pfarrer der Gemeinde St. Philipp Neri in Leipzig): Der Vorfall hat mich schon nachdenklich gemacht. Vor allem: Was bewegt einen Menschen, um anderen Leid zuzufügen? Vor fast genau 30 Jahren ereigneten sich die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen. Meine Güte, die Menschen, das Denken der Menschen und unserer Gesellschaft hat sich doch geändert. Ich frage mich, ob das wirklich so ist? Ja, das bewegt mich sehr.

DOMRADIO.DE: Unterdessen haben Sie auch mit Mitgliedern Ihrer Gemeinde über den Angriff sprechen können. Was sagen die?

Andrzej Glombitza

"Grünau gehört zu den Stadtteilen in Leipzig, die sich mit den Geistern der Vergangenheit auseinandersetzen muss."

Glombitza: Das Entsetzen ist auf jeden Fall groß. Grünau gehört zu den Stadtteilen in Leipzig, die sich mit den Geistern der Vergangenheit auseinandersetzen muss. Heute ist Grünau bunt durchmischt, und zwar mit Jung und Alt, und ist auf jeden Fall auch internationaler geworden. Deswegen ist die Bestürzung auf jeden Fall bei den Gemeindemitgliedern auch groß. Das strahlt natürlich kein gutes Licht auf unseren Stadtteil.

DOMRADIO.DE: In Ihrer Pfarrei ist Ihnen der Einsatz auch für Geflüchtete wichtig. Was bieten Sie da an?

Kinderwagen stehen unter den Balkonen einer Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas (dpa)
Kinderwagen stehen unter den Balkonen einer Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas ( dpa )

Glombitza: Wir haben eine gute Vernetzung mit den Institutionen, die den Flüchtlingen aus der Ukraine helfen. Man muss ja sagen, unsere Gemeinde war die erste Gemeinde in Leipzig, die sich aktiv bei einem Hilfskonvoi in die Ukraine beteiligt hat. Da war auch die Montessori Schule, unsere katholische Schule in unserem Stadtteil präsent.

Darüber hinaus bieten wir auch Begegnungs-Nachmittage für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Wir bieten auch Deutschunterricht in unserer Gemeinde, genau in dem Stadtteil Grünau, wo das Schreckliche passiert ist.

DOMRADIO.DE: Sie haben als Pfarrer mit polnischen Wurzeln selbst einen sogenannten Migrationshintergrund. Haben Sie persönlich den Eindruck, dass Deutschland auch 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen ein Rassismusproblem hat?

Glombitza: In der Tat bin ich ein Priester mit Migrationshintergrund. Aber überall, wo ich war, muss ich Ihnen gestehen, war nie die Frage meiner Nationalität, meiner Herkunft im Vordergrund. Etwas Fremdenfeindliches habe ich nie erlebt.

Jede Gesellschaft hat dieses Problem. Auch zwischen nationalistischem und weltoffenem Denken liegt manchmal nur eine Haustür oder ein Hausflur. Das müssen wir uns einfach mal auch sagen lassen.

Andrzej Glombitza

(Ich erlebe Leipzig) als eine weltoffene, multikulturelle und bunte Stadt.

DOMRADIO.DE: Das Problem ist nicht auf Leipzig beschränkt, aber der Angriff fand am Wochenende bei Ihnen statt. Was für ein Licht wirft das auf Leipzig insgesamt?

Glombitza: Na ja, eigentlich ist es so, dass das Licht natürlich nicht besonders gut ist oder nicht besonders hell ist. Ich möchte aber auch auf jeden Fall betonen, dass ich Leipzig als eine weltoffene, multikulturelle und bunte Stadt erlebe. Dieses Signal muss unbedingt auch nach außen strahlen. Das ist eine wichtige Botschaft, die ich auch nach außen tragen möchte, weil Leipzig nicht nur Schattenseiten hat, sondern auch seine bunte Seiten. Das ist mir auch wichtig zu sagen.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Entsetzen nach Anschlag auf Asylbewerberunterkunft in Leipzig

Ein Brandanschlag auf die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Leipzig-Grünau hat empörte Reaktionen ausgelöst. Die Leipziger Linken-Politikerin Jule Nagel nannte den Anschlag vom Wochenende auf Twitter erschreckend, 30 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) sprach von einem Alarmzeichen. Die Ermittlungen liefen mit Hochdruck, versicherte er.

Eine Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas (dpa)
Eine Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau / © Jan Woitas ( dpa )
Quelle:
DR