Londoner Diakon zum Wahlausgang in Großbritannien

"Zerissenheit des Landes kommt in der Wahl zum Ausdruck"

Theresa May verliert die Regierungsmehrheit in Großbritannien. Stephan Arnold  ist Diakon in der Gemeinde St. Bonifatius in London und hat die Wahl beobachtet.  Für ihn spiegelt sich die Zerrissenheit des Landes in dem Wahlergebnis wieder.

Die britische Premierministerin Theresa May verlässt die Parteizentrale der Conservative Party  / © Frank Augstein (dpa)
Die britische Premierministerin Theresa May verlässt die Parteizentrale der Conservative Party / © Frank Augstein ( dpa )

domradio.de: Viele Briten haben bis in die Nacht die Hochrechnungen verfolgt. Wie war es bei Ihnen?

Stephan Arnold (Diakon der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Bonifatius in London): Ich habe auch den ganzen Abend geschaut. Die Wahlauszählung ist hier an einem zentralen Ort und dauert dadurch relativ lange. Deswegen bin ich auch irgendwann ins Bett gegangen. Allerdings schon mit dem Gefühl, dass es so ausgehen wird, dass die Tories keine absolute Mehrheit bekommen. 

domradio.de: Jetzt bleibt also irgendwie alles beim Alten. Ein klares Ergebnis sieht dann doch anders aus. Wie ist jetzt die Stimmung in London aktuell?

Arnold: Ich glaube, dass man hier gemischt auf das Wahlergebnis blickt. Die Brexit-Befürworter und die Brexit-Gegner, die Reichen und die Armen, Jung und Alt - das Land ist insgesamt ein bisschen gespalten. Ich denke, dass genau diese Zerrissenheit in dieser Wahl zum Ausdruck gekommen ist, da es im Parlament keine absolute Mehrheit mehr gibt.

domradio.de: Corbyn hat ja eine große Aufholjagd hingelegt und dabei den Konservativen viele Stimmen abgenommen. Wie konnte es aus ihrer Sicht dazu kommen?

Arnold: Zum einen haben sie einfach einen guten Wahlkampf gemacht. Dieser war sehr griffig und hatte gute Slogans. Zudem haben ihre Inhalte die Leute angesprochen, insbesondere die Jüngeren. Weiter muss man sagen, dass Corbyn auch etwas hat, was Theresa May abgeht. Denn er hat Charisma. So hat er einfach die Leute mitgerissen und die Wahl war für Jeremy Corbyn sicherlich ein Erfolg.

domradio.de: Definitiv geht Theresa May auf jeden Fall geschwächt aus dieser Wahl hervor. Haben die Anschläge der vergangenen Woche jetzt mit zu diesem Ergebnis geführt?

Arnold: Ich glaube schon. Theresa May war vorher ja Innenministerin und ist praktisch für die Schwächung der Polizei verantwortlich, da sie 20.000 Stellen abgebaut hat. Das haben die Menschen in der Zeit des Terrors dann doch nicht vergessen.   

domradio.de: Im Zuge dieser Neuwahlen war ja auch immer wieder die Rede von einem zweiten Brexit-Referendum. Liegt das wieder in der Luft?  

Arnold: Also das ist ganz schwierig vorherzusagen. Ich weiß es nicht. Für ein neues Referendum waren nur die Liberaldemokraten, die bei dieser Wahl auch etwas mehr Stimmen bekommen haben. Jedoch haben sie im Moment nur um die 13 Sitze im Unterhaus. Also dieses Szenario ist wohl eher unwahrscheinlich. Aber wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass wir überhaupt über den Brexit verhandeln. Insofern kann es durchaus sein, dass wir in zwei Jahren auch hier eine neue Abstimmung erleben.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR