Loveparade: Zehn Anklagen wegen fahrlässiger Tötung

Keine Antwort auf moralische Schuldfrage

Gut dreieinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg mit 21 Toten hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sechs Mitarbeiter der Stadt und vier des Veranstalters sollen sich vor Gericht verantworten.

Gedenkstätte Loveparade (dpa)
Gedenkstätte Loveparade / ( dpa )

Dreieinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg sollen zehn mutmaßlich Verantwortliche vor Gericht gestellt werden: Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Bedienstete der Stadt Duisburg.

Ihnen werden unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Die Ursachen für das Unglück seien schwere Planungsfehler und die fehlende Überwachung von Auflagen gewesen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Bien am Mittwoch in Duisburg.

Bien: Anklage kann Schmerz nicht lindern

In dem Gedränge wurden damals 21 Menschen totgetrampelt oder erstickt. Mindestens 652 wurden den Ermittlungen zufolge verletzt. Bien versicherte Opfern und Angehörigen die Anteilnahme seiner Behörde. Schmerz und Trauer könnten durch die jetzt vorliegende Anklage nicht gelindert werden, räumte er ein. Bien betonte, Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei die Ermittlung strafrechtlicher Schuld, nach politischer und moralischer Schuld hätten die Strafverfolger nicht gesucht.

Den angeklagten Lopavent-Mitarbeitern wirft die Staatsanwaltschaft vor, die Gefahr durch die "deutlich zu enge östliche Rampe" als Zu- und Ausgang des Veranstaltungsgeländes nicht erkannt zu haben. Drei Bedienstete des Amts für Baurecht und Bauberatung der Stadt Duisburg hätten die Genehmigung erteilt, "obwohl auch sie hätten erkennen müssen, dass die Veranstaltung wegen der schwerwiegenden Planungsfehler undurchführbar und daher nicht genehmigungsfähig war".

Drei leitende Angestellte der Revierstadt unterließen es nach Auffassung der Anklagebehörde, das Genehmigungsverfahren ordnungsgemäß zu beaufsichtigen. Sonst wären die schwerwiegenden Planungsfehler erkannt und die Veranstaltung nicht genehmigt worden, erklärte Bien. Die Mitarbeiter der Stadt hätten außerdem am Tag der Loveparade die Auflagen für die Veranstaltung nicht überwacht, obwohl dies ihre Pflicht gewesen wäre.

Keine Anklage gegen Ex-Ob Sauerland und Veranstalter Schaller

Nicht angeklagt werden der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und der Lopavent-Geschäftsführer Rainer Schaller. "Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben", erklärte der Oberstaatsanwalt. Sauerland hatte sich geweigert, die politische Verantwortung für das Unglück zu übernehmen, und war im Februar 2012 als erstes Stadtoberhaupt in Nordrhein-Westfalen von der Bevölkerung in einem Bürgerentscheid abgewählt worden.

Eingestellt wurde das Verfahren gegen sechs Beschuldigte. Unter ihnen sind der Ordnungsdezernent der Stadt Duisburg, der Leiter des Ordnungsamtes, der Polizeiführer am Veranstaltungstag und der Verantwortliche der Firma Lopavent für die Sicherheit im Einlassbereich. "Die Ermittlungen haben keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, der eine Anklageerhebung hätte rechtfertigen können", sagte Bien. Diese Beteiligten hätten keinen umfassenden Einblick in die fehlerhaften Planungsunterlagen gehabt.

Ein Opferanwalt kritisierte, dass außer Sauerland und Schaller auch kein Vertreter der Polizei vor Gericht gestellt werde. "Es geht schließlich auch darum, dass die Verantwortlichkeit der Institutionen festgestellt wird", sagte der Anwalt Julius Reiter im WDR-Radio. Die Frage, ob die Polizei versagt habe, sei außerdem wichtig für Schmerzensgeldansprüche der Opfer. Der Anwalt forderte einen unabhängigen Untersuchungsbericht.

Bien betonte, die Staatsanwaltschaft habe "nicht nach politischer oder moralischer Schuld gesucht, sondern nur nach der strafrechtlich relevanten Schuld". Dem Landgericht Duisburg steht nun ein Mammut-Prozess bevor: Allein die Anklageschrift umfasst 556 Seiten. Insgesamt 61 Anwälte vertreten 135 Opfer. Bisher wurden 27 Anträge auf Nebenklage gestellt.


Quelle:
dpa , epd