Die Einheitsübersetzung der Evangelien liegt neben Sahra Wagenknechts Buch "Reichtum ohne Gier". Der Büchertisch der Paulus-Schwestern nimmt vorweg, welche Welten am Donnerstagabend in der Nürnberger katholischen Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus zum Thema Steuergerechtigkeit aufeinandertreffen: Die Linken-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Es scheint wie ein Dialog zwischen Weltanschauungen. Und doch finden die Sozialistin und der Christ Gemeinsamkeiten.
Wagenknecht gegen Niedriglöhne, Leiharbeit und Hedgefonds
Wagenknecht - eigens aus Berlin für den Termin angereist - liefert das, was viele von ihr erwarten: Sie geißelt Niedriglöhne und Leiharbeit, Hedgefonds, die sich Firmen unter den Nagel reißen, und Großkonzerne, die kaum Steuern zahlen. Natürlich könne da über eine andere Besteuerung viel verändert werden, so die Politikerin.
Außerdem gefährde immer mehr Geld in den Händen weniger die Grundfeste des Staates. "Sehr große Vermögen sind immer auch ein Problem für die Demokratie, weil sie sich mit politischer Macht verbinden." Wer mehr habe, sei eben einflussreicher und kampagnenfähiger, so Wagenknecht.
Schick: Eigentum muss dem Gemeinwohl dienen
Schick setzt andere Akzente. Steuern und Staat könnten Gerechtigkeit nicht allein herstellen, sagt er. Der Erzbischof erinnert an die Ideen der katholischen Soziallehre. Er betont die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen, die nicht beschnitten werden dürften. Er erinnert an das Prinzip der Subsidiarität. Eigentum sei per se nichts Schlechtes, müsse aber dem Gemeinwohl dienen. Schick verweist darauf, dass es nicht allein um Steuergerechtigkeit gehen müsse, sondern auch um Chancen-, Generationen- und Ressourcengerechtigkeit - eine Weiterung des eigentlichen Themas.
Der Anlass des Aufeinandertreffens war eine Studie des Nürnberger Jesuiten Jörg Alt zur Steuergerechtigkeit. Um daraus Konsequenzen zu ziehen, sucht der Pater den Kontakt mit der Politik. Da AfD, FDP sowie CDU/CSU ihm beim Thema Steuergerechtigkeit auswichen, habe er eben die eingeladen, die mit ihm redeten - konkret Sahra Wagenknecht. Erzbischof Schick wiederum könne als "Außenminister der Deutschen Bischofskonferenz" eine weltweite Perspektive einbringen.
Konsens zwischen Erzbischof und Politikerin
Es ist ein Bereich, in dem die Sozialistin und der Christ sehr viel Konsens haben. Wagenknecht schimpft über deutsche Waffenexporte, unfaire Handelsbedingungen der Europäischen Union zulasten afrikanischer Staaten. Sie nennt es "zynisch", dass Deutschland sich nun jene Flüchtlinge möglichst vom Hals halten wolle, die vor einer durch Europa verursachten Armut flöhen. Dies alles müsse sich ändern, wenn ein von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) ausgerufener Marshall-Plan für Afrika funktionieren solle.
Schick benennt ähnliche Probleme, tut dies jedoch deutlich diplomatischer. Die deutsche Entwicklungspolitik sei nicht so schlecht, wie sie manchmal geredet werde, betont er. Und die Ziele eines Marshall-Plans seien richtig. Aber auch der Erzbischof fordert andere Gesetze, wenn es um die Handelsbeziehungen mit Afrika geht.
Beide lehnen ein bedingungsloses Grundeinkommen ab
Differenzen zwischen Wagenknecht und Schick prallen nicht direkt aufeinander - eine Konsequenz daraus, dass der Abend als Fachgespräch angelegt ist und auch so moderiert wird. Bei den Publikumsfragen werden Gemeinsamkeiten von Kirchenmann und linker Frontfrau deutlich: Beide lehnen ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Wagenknecht spricht von einer "Lösung, um sich der Sorge und des Engagements für einen erheblichen Teil der Gesellschaft zu entledigen". Schick sieht darin die Gefahr, Menschen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen und damit nicht mehr ernst zu nehmen.
Spätestens, als erst die Sozialistin und dann der Erzbischof unisono höhere Löhne für Pflegebedienstete fordern, applaudiert auch der örtliche CSU-Landtagsabgeordnete Hermann Imhof in der ersten Reihe. Muss also nicht jeder wache Christ auch ein Sozialist sein, wird Schick dann noch aus dem Publikum gefragt: "Sozial ja, Sozialist nein."
Von Christian Wölfel