KNA: Wie ist die Situation der lutherischen Kirche in Schweden heute?
Bischof Johan Tyrberg (Lutherischer Bischof im Bistum Lund in Schweden): In Schweden ist die lutherische Kirche in einer Situation, die der in Deutschland ähnelt. In der Vergangenheit war fast jeder Schwede Lutheraner. Heute sind wir zehn Millionen Menschen, von denen sechs Millionen der lutherischen Kirche angehören. Die Säkularisierung ist bei uns ähnlich wie in Deutschland. Und manchmal ist es schwierig zu erklären, was Kirche eigentlich ist und um was es dabei geht.
KNA: Haben Sie als ehemalige Staatskirche noch staatliche Aufgaben?
Tyrberg: Wir sind nicht mehr das Standesamt. Aber wir sind noch für Beerdigungen zuständig - zur Kirche gehören in Schweden weiterhin die Friedhöfe. Aber auf diesen Friedhöfen kann sich jeder, unabhängig von seiner Religion, beerdigen lassen.
KNA: Wann ist die Kirche im Leben eines Schweden von Bedeutung? Ist sie das überhaupt noch?
Tyrberg: Eine Mehrheit der Menschen wird immer noch kirchlich beerdigt. An großen Festtagen, etwa an Weihnachten, kommen viele Menschen zu Konzerten und Gottesdiensten. Und dann haben wir gemerkt, wenn etwas Tragisches passiert, zum Beispiel der Tsunami damals in Indonesien, dann kommen die Menschen. Oder als Russland die Ukraine überfiel. Dann suchen sie Halt und Trost - und das kann die Kirche ihnen bieten.
KNA: In Deutschland hat man es nach der Corona-Pandemie nicht mehr überall geschafft, das kirchliche Leben wiederaufleben zu lassen. Wie ist das in Ihrem Bistum?
Tyrberg: Wir müssen erleben, dass Kinder, die in der Pandemie geboren wurden, nicht mehr getauft wurden. Die versuchen wir jetzt zu finden, um sie dann später im Leben zu taufen. Und es gibt auch bei uns Gemeinden, in denen nach der Pandemie das Gemeindeleben nicht mehr zurückkam.
KNA: Gibt es besonders kreative, besonders gelungene Sachen?
Tyrberg: Ich nehme wahr, dass es vor allem Gemeinden sind, die die klassische Liturgie gut und verlässlich feiern, die wieder gut funktionieren. Oder Gemeinden, wo es eine klare und gut vorbereitete Predigt gibt. Wo die Pfarrer die Menschen in der Gemeinde kennen und umgekehrt. Wo man weiß, was man voneinander erwartet, dort kommen dann auch die Menschen.
KNA: Wie sieht es bei Ihnen mit Theologiestudenten aus? Wollen junge Leute noch in die Kirche gehen?
Tyrberg: Wir haben 13 Bistümer in Schweden, und ich bin Bischof in Lund. Bei uns gibt es eine Reihe junger Leute, die Pfarrer werden wollen. So ist es auch in Stockholm und Uppsala. Aber die anderen zehn Bistümer haben große Probleme, junge Pfarrer zu finden. In den Großstädten, in Malmö oder Lund, ist das kein Problem. Auf dem Land dagegen, und vor allem im hohen Norden, ist es schwierig.
KNA: Wie sieht die Zukunft für Schwedens Lutheraner aus? Bleibt die Kirche flächendeckend im ganzen Land?
Tyrberg: Wir hoffen, dass wir im ganzen Land überall sein können können. Aber ich glaube, wir können nicht in jeder Kirche Gottesdienste anbieten. Im praktischen Sinne gibt es schon heute weiße Flecken, besonders im Norden, wo es weite Strecken zwischen den Dörfern und der nächsten Kirche gibt. Bei uns im Bistum Lund dagegen könnte ich auf einen Hügel steigen und würde dann sechs oder sieben Kirchtürme gleichzeitig sehen. Dort wäre es kein Problem, wenn es in einer Kirche keinen Gottesdienst gäbe.
KNA: In Deutschland gibt es in den evangelischen Kirchen ehrenamtliche Prediger: Prädikanten und Lektoren. Haben Sie das auch?
Tyrberg: Nein, aber wir reden darüber, ob wir das in Zukunft einführen sollten. Im Moment werden die Gottesdienste alle von Pfarrern geleitet.
KNA: Wie geht die schwedische Volkskirche mit der Einwanderungsgesellschaft um, zum Beispiel in Malmö?
Tyrberg: In Malmö macht unsere Kirche sehr viel Versöhnungsarbeit. Man arbeitet zusammen mit der Polizei und mit Moscheegemeinden und der Synagoge. Wir wollen den jungen Leuten in den Vorstädten zeigen, dass man nicht verfeindet sein muss. Im Moment ist das aber schwierig - der 7. Oktober 2023 hat auch in Schweden das Klima verändert: Junge Muslime sind immer deutlicher gegen Israel eingestellt. Und immer öfter gibt es Antisemitismus.
KNA: Was kann denn die Kirche in Schweden von Deutschland lernen?
Tyrberg: Als Lutheraner haben wir eine 500 Jahre Geschichte zusammen. Und wir sind Nachbarländer. In meinem Bistum haben wir einen besonderen Vertrag mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Das finde ich wichtig: Denn die Kirche ist keine nationale Angelegenheit. Die Kirche ist weltweit. Wir müssen voneinander lernen. Wir müssen zuhören, wie man Christus heute heutzutage verstehen kann. Manchmal ist es eine Gefahr, dass wir nach Afrika oder Asien fahren, um dort etwas zu erfahren - und vergessen unsere Nachbarländer.
KNA: Als letzte Frage: Wie ist das Verhältnis zur katholischen Kirche in Schweden?
Tyrberg: Ziemlich gut, würde ich sagen, und besonders bei uns in Lund: Denn hier war 2016 der Papst zu Gast. Seitdem gibt es zwei Mal im Monat ökumenische Abendgottesdienste, die bis heute stattfinden. Und auch die Zusammenarbeit vor Ort, in der Stadt, ist seitdem deutlich besser geworden.
Das Interview führte Benjamin Lassiwe.