Frankreich schickt den sozial-liberalen Europa-Freund Emmanuel Macron und die EU-feindliche Rechtspopulistin Marine Le Pen in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Der politische Jungstar Macron gewann laut Hochrechnungen die erste historische Wahlrunde am Sonntag und verwies Le Pen auf Rang zwei. Die beiden brachten mit ihrem Erfolg das etablierte Parteiensystem in Frankreich zu Fall. Erstmals seit Jahrzehnten ist kein Kandidat der Sozialisten oder der bürgerlichen Rechten mehr in der Endrunde vertreten.
Damit stehen die Franzosen am 7. Mai vor einer Richtungsentscheidung über Europa. Nach allen Umfragen kann der frühere Wirtschaftsminister Macron die Chefin des rechtsextremen Front National klar schlagen. Der scheidende Präsident François Hollande gratulierte Macron. Andere Sozialisten und Konservative riefen zur Unterstützung des Mitte-Links-Kandidaten auf, um Marine Le Pen zu verhindern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wünschten Macron alles Gute und viel Glück für die Stichwahl.
Bestürzung über Erfolg der Rechten
Macron lag nach den Hochrechnungen der großen TV-Sender zwischen 23,8 und 23,9 Prozent Prozent, Le Pen bei 21,7 Prozent. Es zeichnete sich eine Wahlbeteiligung um die 80 Prozent ab - etwa so wie vor fünf Jahren. Das gute Ergebnis Le Pens ist für viele Franzosen und Europäer ein Schock. Politiker der französischen Mitte reagierten bestürzt auf das gute Abschneiden von Le Pen.
Macron will "Präsident des ganzen Volks von Frankreich" werden und "Präsident der Patrioten angesichts der Bedrohung der Nationalisten". Er wolle mit dem System brechen, "das unfähig sei, auf Probleme zu reagieren", sagte der 39-Jährige am Abend. Die Franzosen hätten sich für eine "Erneuerung" entschieden.
Macron will den Zugang zu Abtreibung erleichtern, um die Familienplanung für Paare zu verbessern. Ein wichtiges Thema ist für Macron die Debatte über aktive Sterbehilfe. Der 39-Jährige will sie neu anregen. Zudem kündigte er an, dass er einer Öffnung von künstlicher Befruchtung für gleichgeschlechtliche weibliche Paare positiv gegenübersteht. Emmanuel Macron sprach sich zudem vergangene Woche klar gegen die Legalisierung von Leihmutterschaft aus.
Schon 2002 in der Stichwahl
Zum zweiten Mal seit 2002 steht die FN in der Stichwahl. Die Parteichefin will die Euro-Währung in Frankreich abschaffen und ihre Mitbürger über die EU-Mitgliedschaft abstimmen lassen. Der entscheidende zweite Wahlgang am 7. Mai dürfte damit auch zu einer Abstimmung über Europa werden. Macron, Chef der politischen Bewegung "En Marche!" (Auf dem Weg), hat sich im Wahlkampf für Europa stark gemacht.
Die Umfragen sehen im zweiten Wahlgang eine klare Sache: Macron lag am Sonntagabend zwischen 64 und 62 Prozent, Le Pen bei 36 bis 38 Prozent. Die 48-jährige FN-Chefin schnitt in der ersten Runde aber wesentlich besser ab als vor fünf Jahren, als sie im ersten Wahlgang 17,9 Prozent der Stimmen geholt hatte und ausgeschieden war. Le Pen sprach am Abend von einem "historischen Ergebnis". "Es ist Zeit, das französische Volk von den arroganten Eliten zu befreien, die ihm sein Verhalten vorschreiben wollen." Sie sprach von einer Entscheidung zwischen der "totalen Deregulierung ohne Grenzen und ohne Schutz" und "Grenzen, die unsere Jobs schützen, unsere Kaufkraft, unsere Sicherheit, unsere nationale Identität".
Der Front National vertritt bei den Themen Gleichstellung, Abtreibung und Leihmutterschaft äußerst konservative Ansichten. Die "Familie" ist ein wiederkehrender Begriff im Parteiprogramm. Le Pen spricht sich gegen aktive Sterbehilfe und eine Legalisierung von Leihmutterschaft aus. Auch das Abtreibungsgesetz will sie nicht verändern. Zudem möchte die 48-Jährige die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch eine "bessere" eingetragene Partnerschaft ersetzen.
(Fast) alle empfehlen Macron
Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon erreichte laut Hochrechnungen etwa 19,2 Prozent. Sein konservativer Widersacher François Fillon erreichte demnach 19,8 bis 20 Prozent. Fillon kündigte an, in der Stichwahl für Macron zu stimmen. "Die Enthaltung entspricht nicht meinen Genen, vor allem wenn eine extremistische Partei sich der Macht nähert", sagte er am Sonntagabend. Mélenchon gab keine Empfehlung für die Stichwahl ab.
Frankreichs Sozialisten scheiterten im ersten Wahlgang und stellten sich ebenfalls hinter Macron. "Ich bin dabei gescheitert, das Desaster, das sich angekündigt hatte, zu verhindern. Ich übernehme dafür die volle Verantwortung", sagte der sozialistische Kandidat Benoît Hamon. Die "Auslöschung der Linken durch die extreme Rechte" sei eine schwere Wahlniederlage. Premier Bernard Cazeneuve sagte, es gehe darum, die Front National (FN) zu schlagen und ihr "unheilvolles Programm eines Rückschritts Frankreichs und der Spaltung der Franzosen" zu verhindern.
Macron war unter Hollande Wirtschaftsminister; sein Parteibuch bei den Sozialisten hat der 39-jährige Polit-Jungstar aber schon lange abgegeben. Er profilierte sich früh als liberaler Gegenspieler von Le Pen. Er tritt für eine enge Partnerschaft mit Deutschland ein. Frankreich ist nach Deutschland die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Paris und Berlin bilden seit Jahrzehnten in der EU ein Tandem, ohne das nur wenig geht.
Gabriel setzt auf Macron
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel begrüßte das Abschneiden von Macron. "Ich bin sicher, er wird der neue französische Präsident", sagte der SPD-Politiker. "Er war der einzige proeuropäische Kandidat, der sich nicht versteckt hat hinter Vorurteilen gegenüber Europa."
Etwa 47 Millionen Franzosen waren zur Wahl des Nachfolgers von Präsident François Hollande aufgerufen. Insgesamt wollten elf Kandidaten den Sozialisten beerben. Hollande hatte sich nicht mehr für eine weitere Amtszeit beworben. Der Wahlkampf war geprägt von Skandalen und überraschenden Wendungen. Der Antiterrorkampf spielte insbesondere im Finale eine größere Rolle. Frankreich wird seit Anfang 2015 von einer beispiellosen Serie islamistischer Anschläge erschüttert.
Appell von Frankreichs Bischöfen
Die katholischen Bischöfe in Frankreich appellieren nach dem ersten Wahlgang an die Verantwortung der Wähler. Im Zentrum müsse die Frage nach der Zukunft der Gesellschaft und den gemeinsamen Idealen stehen, heißt es in einer am Sonntagabend veröffentlichten Erklärung der Französischen Bischofskonferenz. Dabei sollten religiöse Themen einen Platz haben und die Religion eine Rolle spielen. Weiter schreiben die Bischöfe: "Die Würde unserer Gesellschaft spiegelt sich im Respekt vor ihren schwächsten Mitgliedern wider, von deren Lebensanfang bis zu deren natürlichem Lebensende."
Die Bischöfe äußerten sich nicht ausdrücklich zu einem der beiden Kandidaten, benannten stattdessen Kriterien für eine "gerechtere und brüderlichere Gesellschaft", in der jeder Einzelne seinen Platz finden könne. So fordern sie mehr Unterstützung für Familien. Mit Blick auf Flüchtlinge und Migranten heißt es: "Wenn einige Länder Millionen Flüchtlinge aufnehmen, wie kann unser Staat vor der Aufgabe zurückweichen, einige zehntausend Betroffene aufzunehmen und zu integrieren?"
Der Wille zur Solidarität dürfe allerdings nicht an den nationalen Grenzen aufhören, betonen die Bischöfe. Hier sei auch die EU gefragt. Sie müsse sich zudem stärker in den Herkunftsländern der Migranten engagieren, um den Menschen dort neue Perspektiven zu bieten. Davon abgesehen gelte es, die europäische Einigung weiter zu unterstützen, ohne dabei die historischen und kulturellen Eigenheiten der jeweiligen Nationen zu ignorieren.