DOMRADIO.DE: "Wann ist ein Mann ein Mann?" von Herbert Grönemeyer. Dieser Song begleitet Sie auch schon eine Weile, oder?
Richard Schneebauer (Buchautor und Männer-Berater): Ja, natürlich kommt der immer wieder, weil selten so ein guter Song darüber geschrieben wurde.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch für Sie ganz persönlich Momente, wo Mannsein eine Herausforderung ist?
Schneebauer: Ja natürlich. Es geht auch in Wahrheit immer wieder darum, diese Balance aus dem "Innen und Außen" zu finden. Vom Grundtypen her bin ich wahrscheinlich eher ein sehr einfühlsamer Mensch und Mann. Da wieder die Ausgewogenheit zu finden zwischen dem, dass man sein Ding macht, zu seinen Dingen steht und trotzdem empathisch ist. Ich glaube, das ist für alle eine Herausforderung, auch immer wieder für mich.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Buch "Männerschmerz" geschrieben. Dieses Wort "Männerschmerz" das sticht ja schon irgendwie hervor. Was verstehen Sie darunter?
Schneebauer: Grundsätzlich ist es so, dass ich es sehr wichtig und richtig finde, dass wir sehr viel darüber sprechen, welchen Schmerz Frauen erleiden. Männerschmerz ist eher so als der Schmerz thematisiert, den Männer ausüben. Mir geht es darum, beides nebeneinander hinstellen zu können, weil natürlich auch wir Männer leiden. Wir leiden leider sehr still und sehr innerlich. Es ist wichtig, auch darüber zu sprechen und dass wir Männer selbst hinschauen und unseren Schmerz erkennen.
DOMRADIO.DE: Dabei wird uns auch öfter mal nachgesagt, dass wir dann doch sehr empfindlich sind. Wo Frauen vielleicht jetzt noch nicht jammern würden, da leiden Männer dann deutlich mehr.
Schneebauer: Ob das jetzt wahr ist oder nicht, Tatsache ist, dass es wichtig wäre, dass wir empfindsamer wären bei den Dingen, um die es wirklich geht. Vielleicht übertreiben wir es bei Kleinigkeiten, weil wir nicht auf die großen Dinge schauen.
DOMRADIO.DE: Für einige Männer ist es zumindest nicht leicht, Gefühle zu zeigen. Sie flüchten sich in Arbeit oder mauern sich ein, suchen sich Männer-Bündnisse. Da kennen wir natürlich viele Beispiele. Welche Folgen hat das denn für die Männer ganz persönlich?
Schneebauer: Ein großes Thema ist eine Einsamkeit und das klingt komisch, wenn sie unter vielen Leuten sind, aber innerlich haben viele noch immer das Gefühl, diese Themen, diese Gefühle nur alleine zu haben. Davon liest man vielleicht in der Zeitung, aber man erlebt selten einen anderen Mann, der einem zeigt, dass es ihm auch so geht. Das ist insofern eine große innere Einsamkeit und Schmerz.
Nicht umsonst zeigt die Selbstmordrate der Männer, dass es ihnen da nicht gut geht und wie man damit umgeht. Natürlich spielt auch die Gewalt-Statistik eine Rolle, weil entweder unterdrückter Schmerz explodiert oder implodiert. Vor allem macht es einen aber sehr einsam.
DOMRADIO.DE: In den Kirchen wird viel über Gefühlskälte von Verantwortlichen, auch über Machtspiele diskutiert derzeit. Haben es da Kirchenmänner ganz besonders schwer, aus ihrem patriarchalischen Männerbild auszubrechen? Welche besonderen Hürden stehen da vielleicht im Weg?
Schneebauer: Ja, ich glaube wirklich, dass das so ist. In Unternehmen, Konzernen usw., da bricht das ja langsam durch. Da kommen die Frauen mit ins Spiel und alle Männer, die ehrlich sind, sagen, dass sich die Gesprächskultur verändert hätte.
In der Kirche ist es – glaube ich – alleine schon von dieser Rolle, von diesem Amt her ganz schwierig. Ich habe auch Priester in der Beratung, die einfach mit dieser Rolle Schwierigkeiten haben. Ich sage, wenn man es irgendwo zugestehen kann, dann in der Beichte. Aber das ist ja kein auf Augenhöhe zeigen, wie es einem geht.
Ich wäre ja für Männerbünde, aber für bewusste neue Männerbünde im Sinne von "Wir verbünden uns und zeigen uns mehr, wie es uns wirklich geht". Ich denke auch, dass "normale" Leute auch Pfarrer oder Würdenträger anders anschauen. Umgekehrt auch. Die können es sich noch schwerer eingestehen, wie es für uns Menschen ist. Es ist nicht immer alles leicht und wir haben bestimmte Bedürfnisse und Wünsche. Das nicht mitzukriegen und immer eine Rolle spielen zu müssen, ist echt schwierig.
DOMRADIO.DE: Eine Rolle spielen ist ein gutes Stichwort. Diese Rollenbilder, die auch von den Kirchen geprägt werden, spielen die da auch eine besondere Rolle?
Schneebauer: Ja, mit Sicherheit. Es ist ja so schwierig, das zu durchbrechen. Ich habe das bei mir auch erkannt. Ich habe nur als Junge schon das Glück gehabt, in der Männerberatung zu landen, in den Gruppen zu sitzen, wo Männer sich öffnen. Wo erlebt man so etwas?
Wenn es dort überhaupt nicht üblich ist und überhaupt nicht gefördert und gewollt wird, wer traut sich das zu durchbrechen? Wobei ich ja immer sage, jeder hätte ein, zwei Leute, wo er das Vertrauen hätte, dass man das irgendwo ein bisschen mehr ansprechen könnte. Aber wer hat den Mut?
DOMRADIO.DE: Deswegen gibt es auch Beratungsangebote, die Sie auch gerade schon erwähnt haben. Zu Ihnen in die Beratung kommen dann Männer, die diesen Schritt wagen, sich dann mit ihren Gefühlen auch auseinandersetzen wollen. Was hat Sie denn bewegt, den Kontakt aufzunehmen mit diesen Menschen?
Schneebauer: Die schöne Entwicklung ist auch, dass immer mehr immer früher kommen. Das heißt, es tut sich was bei uns Männern. Gott sei Dank. Was hat mich motiviert? Da müssten wir jetzt tiefer schauen. Das versteht man vielleicht später, warum man in so einem Beruf landet. Aber ich bin trotzdem mit viel Weiblichem in meinem Umfeld aufgewachsen. Der Vater war eher ein ruhiger, verlässlicher Schweiger. Das heißt, ich habe ein buntes Bild an Weiblichkeit gehabt, aber mich eher gefragt "Wie ist das für die Männer?".
Ich hatte dann das Glück, quasi über die Jugendarbeit in der Männer-Beratungsstelle zu landen, zuerst mit Jugendlichen zu arbeiten und habe dadurch ganz jung ganz viel über Männer und damit auch über mich lernen dürfen. Und dann wollte ich halt immer mehr.
DOMRADIO.DE: Welche Motivation haben die Männer, die zu Ihnen kommen? Was ist dann ausschlaggebend, dass sie sich damit jetzt wirklich auseinandersetzen möchten?
Schneebauer: Ich kann sagen, der Druck steigt. Und zwar der Druck von den Frauen. So geht es nicht mehr weiter. Aber auch der gesamtgesellschaftliche Druck spielt eine Rolle. Meistens ist es so ein Thema, wie Beziehung, Trennung, Scheidung, berufliche Überlastung, Gewalt in der Beziehung. Irgendwo gibt es einen inneren Druck zu sagen, dass man mal mit jemandem darüber reden möchte. Oft sind es auch Frauen, die zuerst mal einen Anstoß geben.
Aber beim zweiten Gespräch hat er verstanden, dass er dann für sich selber kommt und dann ist schon viel gelungen, wenn man von einem Mann zum anderen offen reden kann. Das überträgt sich ja dann auch oft ins Privatleben, das sie dann nicht nur mit mir oder Kollegen von mir offener reden können, sondern auch im Privatleben.
Das Interview führte Jann-Jakob Loos.