Mainzer Bischof Lehmann zu 20 Jahren deutsche Einheit

Ein sehr ferner Traum erfüllt sich

Am Sonntag jährt sich der Tag der Deutschen Einheit zum 20. Mal. Auf domradio.de erinnern sich Kirchenvertreter an 1990 und ziehen Bilanz. Kardinal Karl Lehmann war damals und noch bis Anfang 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Für ihn war die Wiedervereinigung ein "großes Geschenk".

Autor/in:
Peter de Groot
 (DR)

KNA: Herr Kardinal, was bedeutet Ihnen die Wiedervereinigung?

Lehmann: Ich halte persönlich die Wiedervereinigung für eines der wenigen großen positiven Ereignisse in unserer Lebenszeit. Die Wiedervereinigung war ja fast so etwas wie ein immer mehr in die Ferne geratener Traum, der plötzlich doch verwirklicht werden konnte. Es ist ein großes Geschenk, das freilich zur Realisierung größte Anstrengungen erfordert und verdient.



KNA: Was vor allem hat sich durch die Wiedervereinigung in der Deutschen Bischofskonferenz, was in der katholischen Kirche in Deutschland geändert?

Lehmann: Es hat sich viel und wenig geändert. Viel: Es gab rasch ein Einvernehmen über die Bildung einer Bischofskonferenz und über die Errichtung neuer Diözesen, darunter die Erzdiözese Hamburg. Dies ging sehr zügig und einmütig. Dies ist auch darin begründet, dass durch die Katholizität, vor allem die Anbindung an den Heiligen Stuhl und konkret auch den Papst, trotz aller Trennungsversuche eine innere Einheit zwischen den beiden Deutschland erhalten blieb. Es gab aber auch immer mitten in allen Abgrenzungsstrategien zwischen vielen Diözesen eine fruchtbare Zusammenarbeit und Unterstützung, besonders mit den westlichen Mutterbistümern, etwa in Sachen Jugend, Hochschulpastoral und Gemeinden.



KNA: Wie bewerten Sie den bisherigen Verlauf des Einigungsprozesses - kirchlich, gesellschaftlich, politisch?

Lehmann: Der Einigungsprozess dauert in allen Bereichen länger als gedacht. Die finanzielle Unterstützung ist auf allen Ebenen eindrucksvoll, zum Beispiel, was das Straßennetz, was Kommunikationswege oder etwa die Altersversorgung angeht. Der finanzielle Transfer dürfte überall einmalig sein. Aber die innere Gemeinsamkeit in vielen Einstellungen ist noch spärlich. Auch wenn der Säkularisierungsprozess in der alten BRD nicht unterschätzt werden darf, so ist die durchschnittliche Mentalität der Menschen aus der Ex-DDR spirituell doch recht verschieden. Der jahrzehntelange staatlich verordnete Atheismus hat Geist und Sinn der Menschen auf lange Zeit verändert. Die damit verbundenen Grundeinstellungen sind schwer veränderbar. Es ist auch den Kirchen - noch - nicht gelungen, hier einen Durchbruch durch eine offenbar verfestigte Mentalität zu erreichen.



KNA: Was erhoffen Sie sich in Sachen deutsche Einigung für die nächsten 20 Jahre?

Lehmann: Ich hoffe natürlich auf einen weiteren Prozess der Annäherung und des respektvollen Miteinanders. Es geht aber nicht um eine größere Anpassung der neuen Bundesländer. Alle Länder in Ost und West müssen in die Zukunft hinein neue und eben in der Tat gemeinsame Aufgaben erfüllen, zum Beispiel Probleme angehen, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben. Ein fundamentales Problem wird die Frage der gemeinsamen Grundwerte in Gesellschaft und Staat sein, besonders angesichts des wachsenden geistigen, ethischen und religiösen Pluralismus. Hier wünsche ich mir ein noch sensibleres Eingehen der Kirchen auf diese künftige Situation.