Erstmals überhaupt muss sich ein Kardinal der katholischen Kirche vor dem vatikanischen Strafgericht verantworten.
Welche Rolle spielte Giovanni Angelo Becciu bei den Investitionen des vatikanischen Staatssekretariats in eine Londoner Immobilie? Welche Verantwortung trug der Mann, der als Substitut sieben Jahre lang an der Schaltstelle der mächtigen Kurienbehörde waltete?
Die Zahl der Vorwürfe ist groß
Die Riege der weiteren Beschuldigten reicht vom Schweizer Juristen und Finanzexperten Rene Brülhart mit internationalem Ruf als Saubermann bis zur selbst ernannten italienischen Sicherheitsberaterin Cecilia Moragna. Dazu gesellen sich vatikanische Mitarbeiter, die von italienischen Finanzmaklern entweder übers Ohr gehauen worden sein sollen oder mit ihnen gemeinsame Sache machten.
Die Vorwürfe umfassen Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug, Erpressung, Urkundenfälschung und Amtsmissbrauch. Im Kern geht es um verlustreiche Investitionen in Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro in eine Londoner Immobilie und die sie begleitenden Deals und Provisionen. Unklar ist bisher, welche Verantwortung derzeitige Obere des Staatssekretariats für die Investitionen tragen.
Papst Franziskus spricht selbst von einem "Skandal"
Beccius Nachfolger, der Venezolaner Edgar Pena Parra, soll Deals autorisiert haben. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin selbst versuchte, im Frühsommer 2019 für den Londoner Immobilien-Deal weiteres Geld vom "Institut für die religiösen Werke" (IOR) zu bekommen. Die sogenannte Vatikanbank IOR wurde misstrauisch, Ermittlungen nahmen ihren Lauf und führten zur Razzia im Oktober 2019. Fünf Vatikan-Mitarbeiter wurden suspendiert; seither wartete man.
Dass es im Staatssekretariat "einen Skandal" gab, hatte der Papst selbst bestätigt, als er im November 2019 auf dem Rückflug von Tokio nach der Razzia an der Kurie befragt wurde. Und Ende April erst änderte er das Strafprozessrecht, damit auch Kardinäle normal angeklagt werden können.
Wer sind die Angeklagten?
Während etwa Brülhart nur sein Amt als Verwaltungsratschef der vatikanischen Finanzaufsicht AIF, heute ASIF, missbraucht haben soll, listet die Anklage bei Enrico Crasso, dem römischen Broker mit Sitz in der Schweiz, eine ganze Palette von Vergehen auf. Angeklagt sind neben Crasso auch seine Finanzmakler-Kollegen Raffaele Mincione und Gianluigi Torzi; außerdem Torzis Rechtsbeistand, der Mailänder Jurist Nicola Squillace. Weiter werden angeklagt der frühere, inzwischen entlassene Direktor der AIF, Tommaso Di Ruzza.
Aus dem Staatssekretariat werden Beccius einstiger Sekretär Mauro Carlino sowie Fabrizio Tirabassi beschuldigt. Tirabassi war die unmittelbare Schnittstelle zwischen Vatikan und Finanzmaklern, genoss einen zweifelhaften Ruf von Erpressung, Drohungen und Partys mit Prostituierten. Auffällig: Der langjährige, für die Kassen der Mammutbehörde zuständige Verwaltungsleiter Albert Perlasca ist nicht angeklagt. Manche vermuten, Milano und sein Team hätten ihn als Kronzeugen ausgenommen.
Als Exotin in der Männerriege wirkt Cecilia Marogna. Die Autodidaktin in Sachen Geheimdienste erhielt von Becciu 575.000 Euro für Sicherheitsberatungen humanitärer Missionen des Vatikan und Verhandlungen zur Freilassung entführter Kirchenvertreter, wie sie selber einem TV-Team erklärte. Allerdings gab Marogna einen Großteil des Geldes für private Luxusgüter aus.
Kardinal Becciu sieht sich als Opfer
Das Staatssekretariat selbst tritt beim Prozess als ziviler Nebenkläger auf. "Ganz einfach weil wir Opfer sind", begründete Kardinal Parolin den Schritt Anfang Juli in Straßburg. Er hofft auf einen kurzen Prozess, in dem die ermittelnde Justiz "hoffentlich die Wahrheit feststellen" werde, weil viele Menschen unter der ganzen Affäre litten.
Nach Ankündigung des Prozesses ließen Becciu, Brülhart und Carlino mitteilen, ihre Unschuld werde sich zeigen. Brülhart erklärte, er habe seine "Funktionen und Aufgaben stets korrekt, loyal und im ausschließlichen Interesse des Heiligen Stuhls" ausgeführt. Auch Carlinos Anwalt betonte, sein Mandant habe im Interesse des Staatssekretariats und Auftrag seiner Oberen gehandelt. Becciu hingegen sieht sich als "Opfer eines Komplotts", beklagte erneut eine Diffamierungskampagne italienischer Medien - und reagierte mehrfach mit Verleumdungsklagen.
Unklar, wie lange der Prozess dauern wird
Wie viel Licht ins Dickicht des Finanzskandals die vatikanische Justiz bringen kann, muss sich zeigen. Die bisherigen Ermittlungsakten sind 488 Seiten stark. Schon bisher nahmen wesentlich einfacher gelagerte Justizfälle Jahre in Anspruch. Dass die Vatikan-Justiz handwerklich noch dazulernen muss, machten zuletzt italienische und englische Gerichtsurteile deutlich, mit denen vatikanische Anträge auf Amtshilfe abgeschlagen wurden.
Andererseits kamen die jüngsten Anklagen nur dank internationaler Kooperation zustande. Zuletzt hatte die europäische Anti-Geldwäsche-Kommission Moneyval zu mehr Konsequenz im Kampf gegen Geldwäsche gedrängt. Jetzt will der Vatikanstaat zeigen, dass er nicht nur seine Gesetze und Regeln verbessert hat, sondern auch handelt. Und dass Spendengelder wie der Peterspfennig, um die es hier auch geht, besser kontrolliert werden.