"Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden / Leben nach Auschwitz“, so heißt das Buch mit den Gesprächen, die Lütz mit dem 86-jährigen Bacon in Jerusalem aufgezeichnet hat. Als Jugendlicher hat Bacon Auschwitz überlebt, aber seine ganze Familie dort verloren. Die Kunst, die Malerei habe ihm, so sagt der Kunstprofessor, das Leben gerettet. Seinem Vater widmete er ein berühmtes Bild. Da ist der Rauch zu sehen, der aus den Schornsteinen der Krematorien in Auschwitz kommt, und im Rauch dieser Schronsteine sieht man das Gesicht seines Vaters.
Manfred Lütz erzählt, die Interviews, die er mit Jehuda Bacon aufgezeichnet habe, seien zutiefst berührend gewesen, nie hätte Bacon ihn in eine Verlegenheit gebracht, nie sei er anklagend, verbittert oder gar vorwurfsvoll gewesen. "Er ist so liebenswürdig und freundlich und hilft einem, indem er einen an die Hand nimmt und das Grauen zeigt“, sagt Lütz, „aber dadurch, dass man diesen unglaublich liebenswürdigen Menschen sieht, kann man es vielleicht besser ertragen. Andererseits ist es dann auch wieder noch erschütternder, wenn man denkt: ein so liebeswürdiger Mensch, dass der so etwas erdulden musste, ist doch besonders furchtbar“.
Wie kann Gott Auschwitz zulassen?
Manfred Lütz sagt, dass sein Buch mit Jehuda Bacon kein Buch über Auschwitz sei, sondern viel mehr ein Buch über die Konsequenzen, die Jehuda Bacon als ein Überlebender der Hölle von Auschwitz aus diesen grauenhaften Erfahrungen gezogen hat. Deswegen beginnt das Buch auch mit der Frage, woher das Böse kommt? "Bacon zitiert hier den Theologen Martin Buber, der sagt, das Gute sei die Nähe Gottes.
Das Böse sei ein eigensinnig-egoistischer Weg, immer nur Ich, Ich, Ich zu denken, das Böse sei der Weg ins Nichts“, erzählt Lütz: "Aber, und da zitiert Bacon einen Lehrer, der kurz bevor er in die Gaskammer ging, seinen Schülern gesagt habe, in jedem Menschen sei ein göttlicher Funke, der unzerstörbar sei“. Bacon habe dieser Gedanke in Auschwitz aufrechterhalten: Die Nazis, das wußte er, können ihn zu Asche machen, aber dieser Funke sei unzerstörbar.
Die Hass-Spirale stoppen
Jehuda Bacon erzählt im Gespräch mit Manfred Lütz sein Leben und die Schlüsse, die er daraus gezogen hat, nicht in theologisch hochgeschraubten Traktaten. Er erklärt sich viel mehr in Geschichten, die seine Erkenntnisse lebendig spiegeln. Ein Beispiel: Vor dem Krieg habe sein Vater als erniedrigende Tätigkeit für Juden Schnee schaufeln müssen. Nach dem Krieg sieht Jehuda Bacon im gleichen Ort einen Deutschen, wie der Schnee schaufelt und denkt, er könne jetzt aus Rache einen Stein auf den Deutschen werfen, als ehemaliger KZ-Häftling könne er sich das leisten.
Aber, so überlegt er weiter, dann hätte Hitler gesiegt, dann hätte Hitler mit seinem Hass gesiegt, dann würde er selbst zu einem kleinen Hitler, der auch hasst. Und vielleicht sei dieser Deutsche unschuldig und würde dann den Hass wieder auf andere lenken – und so gehe das dann ewig weiter. Er habe den Stein dann nicht geworfen.
Dr. Manfred Lütz ist ein gestandener Mann, er ist Buchautor, Theologe, erfahrener Psychiater, Leiter einer Klinik, aber als er für domradio.de von seinen Begegnungen mit Yehuda Bacon erzählt, gerät er häufig ins Stocken. Er ist zu Tränen gerührt – über diesen Mann, der dafür steht, dass das Gute größer und stärker sein kann als alles, was es an Bosheit gibt. "Mein Leben ist seit diesen Gesprächen mit Jehuda Bacon heller geworden“, sagt Lütz.