domradio.de: Im Falle von Herrn Avramopoulos wurde quasi der Bock zum Gärtner gemacht. Sehen Sie das auch so?
Heiko Habbe (Jesuitenflüchtlingsdienst): Wir haben die große Sorge, dass Herr Avramopoulos im Grunde für eine Politik der Abschottung gegenüber Flüchtlingen steht, auch mit für das Versagen der griechischen Flüchtlingspolitik. Und Herr Avramopoulos hat selber insbesondere die Abschottung der türkisch-griechischen Landesgrenze durch einen Zaun ausdrücklich gelobt mit den Worten "Wir müssen unsere Gesellschaften schützen". Da wird schon das Thema Flüchtlingsschutz geradezu pervertiert, wenn es nicht darum geht, den Flüchtling zu schützen, sondern uns vor ihm.
domradio.de: Ist das denn ein Punkt, den man allgemein an der griechischen Flüchtlingspolitik kritisieren könnte?
Habbe: Was alle Berichte aus Griechenland zeigen, ist, dass der Flüchtlingsschutz dort in großen Teilen mit Füßen getreten wird. Es werden Flüchtlinge unter Gewaltanwendung zurückgedrängt. Anfangs über die türkisch-griechische Landgrenze, im Moment eher über die Seegrenze. Es werden Menschen in seeuntüchtigen Booten auf dem Meer ausgesetzt. Da sehen wir eine Politik, die wiederspiegelt, wie wir in Europa uns abschotten gegen die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Es ist die Politik, die zum Tod von Tausenden Flüchtlingen im Mittelmeer geführt hat. Und Griechenland setzt diese Politik in seinem Zuständigkeitsbereich fort, bekommt auch wenig Unterstützung von den anderen EU-Staaten. Es ist seit Jahren bekannt, dass Griechenland seine Flüchtlinge nicht adäquat unterbringt, dass sie in großen Hallen zusammengepfercht werden, wo es nicht ausreichend Toiletten gibt, wo es keine vernünftige Gesundheitsversorgung gibt. Es gibt Versuche, die Verwaltung zu stärken, aber es greift offensichtlich nicht durch. Flüchtlinge stehen in Griechenland vor nackter Existenznot.
domradio.de: Herr Avramopoulos heißt offiziell "Kommissar für Migration und Sicherheit“. Heißt das denn, dass er Europa in nächster Zeit eher von Flüchtlingen abschotten wird, als ihnen zu helfen?
Habbe: Das ist zumindest die Befürchtung, die wir haben, wenn wir diesen Ressortzuschnitt hören. Die Verknüpfung von der Zuständigkeit für Flüchtlinge und für innere Sicherheit ist ja etwas, das wir in Deutschland sehr gut kennen. Die meisten Innenministerien des Bundes und der Länder funktionieren bei uns nach diesem Schema. Und das führt immer wieder dazu, dass Flüchtlinge mit Gefahr assoziiert werden, mit etwas, wovor man sich zu schützen habe. Das ist ein Kardinalsfehler der deutschen Innenpolitik. Wir machen jetzt in den ersten Bundesländern endlich Anstalten, die Flüchtlings- und Migrationspolitik aus diesem Zusammenhang zu lösen, in einen sozialen Kontext, in den Kontext der Integrationsministerien zu rücken. Die EU macht auf dieser Ebene einen Rückschritt und das muss einen schon besorgen, gerade wenn man sieht, wie wir uns abschotten, gerade auch zum Beispiel vor der italienischen Küste. Die Italiener haben einige Monate jetzt ihrer Kriegsmarine den Auftrag gegeben, Flüchtlinge zu retten. Dazu hat der deutsche Innenminister unlängst gesagt, diese Rettungsaktion ist zu einer Brücke geworden für Flüchtlinge aus Nordafrika und diese Brücke müsse man jetzt abbrechen.
domradio.de: Ich komme noch einmal zurück zum Sprichtwort "den Bock zum Gärtner machen“. Man setzt jemanden in die Position, der gar nichts damit zu tun hat. Kann das nicht auch eine Chance sein, dass man jemanden auf die Position setzt, der einen kritischen Blick auf die Situation hat und damit ein anderes Bewusstsein in die Debatte bringt?
Habbe: Das ist eine Hoffnung, die man damit verbinden kann. Allerdings eine dialektische Hoffnung. Es ist zu hoffen, dass Herr Avramopoulos den Südländern zu einer Stimme verhilft, die schon lange von den nördlichen EU-Staaten fordern: Ihr müsst solidarisch mit uns sein, ihr müsst uns mehr unterstützen. Das ist eine Forderung, die wir durchaus auch unterstützen. Wir sagen, es muss auch den berechtigen Interessen der Flüchtlinge mehr genügt werden. Es kann nicht sein, dass ein Flüchtling da, wo er europäischen Boden erreicht, dann auch bleiben muss, ein Asylverfahren führen muss, unabhängig davon, ob dieser Staat jemals in der Lage sein wird, ihm eine wirtschaftliche Lebensperspektive zu eröffnen. Ob das allerdings bei Herrn Avramopoulos so wird, dass er sich für den Flüchtlingsschutz auch einsetzt, das ist natürlich unser Wunsch. Da werden wir ihm als kirchliche Organisation, als Zivilgesellschaft in den nächsten Jahren auf die Finger schauen müssen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch