Still wird es in der Versöhnungskapelle. Um 12 Uhr liest jemand die Biografie eines Menschen vor, der beim Versuch starb, in den Westen zu fliehen. Nach einer Viertelstunde ist die Andacht vorbei, kehren die Besucher wieder in ihren Alltag zurück. Seit sieben Jahren gibt es diese Form des Gedenkens. Von Dienstag bis Freitag erinnern Mitglieder der evangelischen Versöhnungsgemeinde auf diese Weise an die 136 Berliner Mauertoten. Über 1.000 Andachten, zu denen bis Ende vergangenen Jahres insgesamt mehr als 20.000 Menschen kamen.
Auch am 51. Jahrestag des Mauerbaus, am Montag, hat eine solche Andacht stattgefunden, etwas früher als sonst und vermutlich mit mehr Menschen als an einem gewöhnlichen Tag. "Der 13. August erinnert uns jedes Jahr an unsere Verantwortung für die Menschenrechte und die Menschlichkeit", sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), bei der zentralen Gedenkveranstaltung.
Dabei war auch Manfred Fischer. Der Pfarrer der Versöhnungsgemeinde steht wie kein anderer für das Erinnern an diesem Ort. Seit Mitte der 1970er Jahre ist er für die Gemeinde verantwortlich, zunächst nur für ihren westlichen Teil im Wedding. Der heute 64-Jährige erlebte mit, wie die im Zweiten Weltkrieg beschädigte Versöhnungskirche - die sich genau auf dem Todesstreifen befand - 1985 auf Anordnung des SED-Regimes gesprengt wurde. Eine Fotoserie davon hängt über Fischers Schreibtisch.
Sakralbau aus Spendenmitteln finanziert
Vier Jahre nach der spektakulären Kirchensprengung fiel die Mauer. Fischer wollte ein neues Gotteshaus, genau an dem Ort, wo das alte stand. Trotz vieler Widerstände trieb er die Planungen voran, gewann Mitstreiter. Die "konzeptionelle Klarheit", die bei der Idee über allem stand, war auch aus der Not geboren. Denn viel Geld für den Bau gab es nicht, erzählt Fischer.
So sollte ein Sakralbau an diesem geschichtsträchtigen Ort durch seine Schlichtheit bestechen. Für eine Million Mark wurde aus Spendenmitteln ein mit Holzlamellen ummantelter Lehmbau errichtet. Der damalige evangelische Berliner Bischof, Wolfgang Huber, weihte ihn vor zwölf Jahren ein. Und die Gemeinde zog um. Aus einem wohlgeheizten, gemütlichen Gemeindezentrum in eine Kirche ohne Komfort, sogar ohne Heizung. "Ein mutiger Schritt", blickt Fischer zurück.
Aber er und mit ihm viele andere wollten mehr. An der Bernauer Straße, die durch die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Menschen bekannt wurde, die während des Mauerbaus aus Fenstern der angrenzenden Häuser in die Freiheit sprangen, blieben Teile des einstigen Todesstreifens stehen. Der von Fischer mitgegründete Verein setzte sich für deren Erhalt ein und unterstützte den Aufbau einer Gedenkstätte mit Dokumentationszentrum.
Damals unverständlich für viele, die sich nichts mehr als das komplette Niederreißen der Mauer wünschten. Das Erinnern an diese Grenze sei in "extremer Weise emotional", meint der Pfarrer rückblickend. "Sie hat Körper und Seelen verletzt. Es braucht Zeit, um zu erkennen, dass sie als Mahnmal weiter wichtig ist."
Bislang schon drei Millionen Besucher
Im neuen Jahrtausend hat sich auch die Politik dieser Sicht angeschlossen. Wofür der Verein Jahre gekämpft hatte, wurde umgesetzt - und die Bernauer Straße zum zentralen Gedenkort der deutschen Teilung. 2006 verabschiedete der Berliner Senat ein Gesamtkonzept. Auf einer Länge von 1,4 Kilometern soll der Verlauf der Mauer sichtbar gemacht werden, auch durch Stelen aus Corteenstahl. Erst im Juni wurden weitere Teilstücke freigegeben.
Das Konzept ist schon jetzt aufgegangen: Bislang kamen schon drei Millionen Besucher zu dem Erinnerungsort. Vermutlich sind es aber weit mehr. Denn die Gedenkstätte hat "keine Tür und kein Tor", wie Fischer betont. Feste Öffnungszeiten gibt es nur für das
Dokumentations- und das Besucherzentrum. Sonst ist das Gelände Tag und Nacht zugänglich. Mit dieser Offenheit verkörpere die Stätte das genaue Gegenteil von dem, was der frühere Todesstreifen darstellte, erklärt Fischer.
Die Fertigstellung des Gedenkorts, die sich wegen schwieriger Grundstückskäufe der inzwischen gegründeten Stiftung verzögerte, ist für 2014 geplant. Fischer wird dann nicht mehr Pfarrer der Versöhnungsgemeinde sein. Nächstes Jahr wird er 65 Jahre und übergibt seine Aufgabe an einen Nachfolger.
Mauergedenken in der Kapelle der Versöhnung
Die Kapelle auf dem Todesstreifen
Zum 51. Jahrestag des Mauerbaus ist der Opfer der deutschen Teilung gedacht worden. Die zentrale Gedenkveranstaltung zum 13. August fand in der zur Gedenkstätte Berliner Mauer gehörenden Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße statt.

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