May erklärt EU-Austritt Großbritanniens

"Brexit" als Katalysator für den "Scoxit"?

Neun Monate nach dem Brexit-Referendum hat die britische Premierministerin Theresa May an diesem Mittwoch offiziell die Scheidung von der EU eingereicht. Schottland ist "not amused" und will nun ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum.

Autor/in:
Alexander Brüggemann und Robert Nowell
Schottland strebt neues Unabhängigkeitsreferendum an / © Jane Barlow (dpa)
Schottland strebt neues Unabhängigkeitsreferendum an / © Jane Barlow ( dpa )

Seit König Jakob VI. von Schottland im Jahr 1603 zu Jakob I. von England wurde, haben Schotten und Engländer denselben Monarchen. Und obwohl es seit dem Unionsvertrag von 1706 ein Teil des Vereinten Königreiches ist, hat sich Schottland seine sehr eigene Identität bewahrt.

Im Sommer 2014 ging das schottische Referendum für eine staatliche Unabhängigkeit von Großbritannien knapp verloren. Durch den "Brexit" bekommen diese Fliehkräfte nun neuen Antrieb – denn die Schotten sind sehr EU-freundlich.

Schottland will erneute Abstimmung über Unabhängigkeit

Am Dienstagabend stimmte das schottische Parlament in Edinburgh für eine erneute Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. Mit einer Mehrheit von 69 zu 59 Stimmen beauftragten die Abgeordneten Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon, mit London über das geplante Referendum, das ohne die dortige Zustimmung nicht möglich ist, zu verhandeln. Bis Frühjahr 2019 soll die Abstimmung stattfinden - und ist Ausdruck der schottischen Ablehnung des harten "Brexit"-Kurses der britischen Premierministerin Theresa May. Diese will die EU am Mittwoch offiziell über den Austritt der Briten informieren.

Schottland ist selbst kein in sich homogenes Land – und ist es nie gewesen. Der geistige Graben zwischen Hochland und Tiefland besteht schon seit der Schlacht zwischen Römern und Kaledoniern am Mons Graupius im Jahr 83 nach Christus. Besonders tief war er im 18. Jahrhundert in der Zeit der konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten, nachdem König Jakob II. (1685-1688/89) die gefestigte Stellung der Stuarts durch eine stark prokatholische Politik verspielt hatte.

Das Misstrauen gegenüber den Highlandern blieb: Sie sprachen eher Gälisch als Englisch, waren eher katholisch als presbyterianisch - und tendenziell Jakobiten. Zwei sogenannte Jakobiten-Aufstände in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts versuchten, die Herrschaft der Stuarts wiederherzustellen. Nach deren Niederschlagung setzten eine Auswanderung aus dem Hochland nach Amerika und eine zunehmend brutale "Befriedung" der Highlands ein. Menschen wurden in Säuberungswellen durch Schafe ersetzt.

Natürlich gibt es solcherart Vorbehalte auch umgekehrt. So zitiert der Schriftsteller James Hunter in seiner "Geschichte der Highlands" einen Farmer aus dem Hochland, der in Zusammenhang mit dem gescheiterten Referendum zur Dezentralisierung 1979 sagte: "Mag ja sein, dass die in London auf uns hier oben pfeifen - aber in Edinburgh, da hassen sie uns."

Noch mehr unterscheiden sich die nördlichen Inseln Orkney und Shetland von der Mentalität des Festlands. Sie gehörten ursprünglich zu Norwegen und kamen erst im späten 15. Jahrhundert an Schottland. Shetland ist ein Zentrum der nationalen Ölindustrie – und könnte sehr stark zum Bruttoinlandsprodukt eines unabhängigen Schottland beitragen.

Londoner Zentralismus

Ein wichtiger Faktor für das Befinden der Schotten im Vereinigten Königreich ist der Londoner Zentralismus - der sie freilich ebenso betrifft wie die Nordiren und Waliser. Die Schotten fühlen sich von Westminster dominiert - wie etwa in den 80er Jahren bei der Reform der kommunalen Grundsteuer offenbar wurde. Das von London durchgedrückte System war kompliziert und in Schottland höchst unpopulär. Doch erst als es später - bei der Einführung in England - zu gewaltsamen Ausschreitungen kam, wurde die Reform zurückgenommen.

In Schottland stimmten im vergangenen Jahr 62 Prozent für den EU-Verbleib und nur 38 Prozent dagegen. Schon beim schottischen Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 stellte sich die Frage der EU-Mitgliedschaft. Ein unabhängiges Schottland hätte wohl - anders als ein dann verkleinertes Großbritannien – neu um eine Aufnahme als 29. EU-Staat anfragen müssen.

Durch den "Brexit" läuft die Frage nun auf andere Weise: Die Briten gehen raus aus der EU – und wenn die Schotten die EU wollen, brauchen sie sowohl die Unabhängigkeit von London als auch ein neues Beitrittsverfahren. All diese Schritte wären maximal kompliziert - zuzüglich den Fragen nach der eigenen Wirtschaftsleistung, dem Bankensystem, Währung, Außenpolitik, Sicherheit etc.

Der Schottland-Experte Michael Klevenhaus: "Viele Schotten möchten auch – was es in Großbritannien nicht gibt - eine geschriebene Verfassung haben, auf die sie sich berufen können." Sie wollen keine britischen Atom-U-Boote mehr, wie sie in der Nähe von Glasgow im Hafen liegen - und nicht mehr von Westminster dominiert werden. "Die Schotten wollen endlich ihre eigenen Dinge regeln. Und das schließt auch ein, ihre eigenen Fehler zu machen."


Haben unterschiedliche Ziele: Die britische Premierministerin Theresa May (l) und Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon / © Andrew Milligan (dpa)
Haben unterschiedliche Ziele: Die britische Premierministerin Theresa May (l) und Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon / © Andrew Milligan ( dpa )
Quelle:
KNA