Medienethiker sieht Flüchtlings-Berichterstattung kritisch

"Die Medien haben sich mitreißen lassen"

Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie haben Medien in der Zeit der Flüchtlingskrise nicht angemessen berichtet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Münchner Medienethiker Alexander Filipovic (42).

Autor/in:
Dana Kim Hansen
Sicherheitskräfte auf dem Gelände des Flüchtlingsheims in Burbach / © Ina Fassbender (dpa)
Sicherheitskräfte auf dem Gelände des Flüchtlingsheims in Burbach / © Ina Fassbender ( dpa )

KNA: Herr Filipovic, wie schätzen Sie die Ergebnisse der Studie ein?

Alexander Filipovic (Medienethiker): Die Studie hat einen großen Wert, weil sie die Berichterstattung sehr gründlich untersucht hat. Die Inhalte sind zwar auch schon vorher vermutet und thematisiert worden. Aber das konnte man bisher immer nur punktuell sagen. Jetzt hat die Studie das viele Material sorgfältig analysiert. Und sie zeigt, dass in den Medien nicht alles so gelaufen ist, wie man sich das wünschen würde.

KNA: Wie ist Ihre persönliche Einschätzung: War die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise angemessen?

Filipovic: Ich hab das nicht methodisch untersucht, aber es ist schon der Eindruck entstanden, dass sich die Medien haben mitreißen lassen.

Es gab zunächst eine Krisensituation und Hilflosigkeit. Und dann gab es plötzlich eine Willkommenskultur, ein zweites Flüchtlingssommermärchen. Davon lässt man sich selbst dann auch ein bisschen mitreißen.

KNA: Welche Folgen hatte das für die Berichterstattung?

Filipovic: Es ist aufgefallen, dass es relativ wenig Reportageformate in dieser Zeit gab. Man hatte natürlich viele Bilder, die man verarbeiten musste und man hat das politische Geschäft verfolgt.

Dabei ist es oft geblieben. Eine sorgfältig recherchierte Reportage aus einem Flüchtlingsheim oder über Menschen, die Angst vor dem haben, was da passiert, gab es kaum. Deren Haltung wurde nicht recherchiert und authentisch wiedergeben.

KNA: Welche Auswirkungen hatte das?

Filipovic: Das führt zu Desintegration. Die verschiedenen Meinungen bleiben unberührt nebeneinander stehen. So entsteht bei denen, die sich nicht repräsentiert fühlen, Frust. Und das unterstützt dann natürlich Vertrauensverluste gegenüber den großen Leitmedien.

KNA: Es gab auch immer wieder Stimmen, die sich über die Masse an Berichterstattung beschwert haben. War es zu viel des Guten?

Filipovic: Die Berichterstattung in diesen Tagen war natürlich massiv. Das führt auch zu Überforderung und Themenverdrossenheit. Die Leute hören nicht mehr hin und nehmen die verschiedenen Schattierungen gar nicht mehr wahr. Sie sehen nur das, was sie vorher schon gemeint haben. Es war zu viel, obwohl das Thema unglaublich groß ist.

KNA: Wie hätte angemessen berichtet werden können?

Filipovic: Das große Problem ist immer das Verhältnis von Objektivität und Engagement. Es gehört zum Ethos des Journalisten, dass er sachlich und neutral berichtet und in der Lage ist, alle Beteiligten und Stimmungen zu sehen und zu Wort kommen zu lassen. Auf der anderen Seite darf er auch engagiert sein, wenn es zum Beispiel um Menschenrechte oder um Frieden geht. Das darf aber eben nicht dazu führen, dass man dann die Beteiligten aus dem Blick verliert.


Alexander Filipovic, Sozialethiker, Medienethiker und Theologe / © Sj-Bild/Leopold Stuebner Sj (KNA)
Alexander Filipovic, Sozialethiker, Medienethiker und Theologe / © Sj-Bild/Leopold Stuebner Sj ( KNA )
Quelle:
KNA