Mehr als 200 Beschäftigte kritisieren eigene Landeskirche

Landesbischof reagiert mit Verständnis

Der Umgang mit Missbrauchsfällen in der hannoverschen Landeskirche sorgt für Unmut an der Basis. Mehr als 200 Beschäftigte wenden sich mit der Forderung nach einem Kulturwandel an Bischof Meister. Der zeigt sich einsichtig.

Die Evangelische Kirche in Deutschland veröffentlicht im Januar 2024 eine umfassende Studie zum Thema sexualisierte Gewalt / © Heike Lyding (epd)
Die Evangelische Kirche in Deutschland veröffentlicht im Januar 2024 eine umfassende Studie zum Thema sexualisierte Gewalt / © Heike Lyding ( epd )

Mehr als 200 evangelische Pastorinnen, Diakone und kirchliche Mitarbeitende haben die Leitung der hannoverschen Landeskirche für deren Umgang mit Missbrauchsfällen kritisiert. Sie seien entsetzt über das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirche und den Umgang damit bis in die jüngste Vergangenheit, schreiben sie in einem Brief, der an den Landesbischof und weitere kirchenleitende Personen gerichtet ist. "Das Verhalten kirchenleitender Verantwortlicher hat unser Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt", heißt es in dem Schreiben, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

Landesbischof Ralf Meister reagierte mit Verständnis: Der Brief spreche wichtige Punkte an. Zuerst hatte die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" berichtet.

Die Unterzeichner beziehen sich auf die im Januar und Februar erschienenen Studien zu Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und zu einem Fall in Oesede bei Osnabrück. Sie wünschen sich einen grundlegenden Kulturwandel innerhalb der Kirche. Die Kirche müsse sensibel für Grenzverletzungen und Machtmissbrauch werden. "Dafür muss sie selbstkritisch mit den Ergebnissen der Studien umgehen", fordern die Beschäftigten der Landeskirche.

Den Kulturwandel initiieren

Die Kirchenleitung müsse den Kulturwandel initiieren, gestalten und begleiten, "damit unsere Kirche nicht nur zukunftsfähig wird, sondern vor allem sicherer und glaubwürdiger". Sie habe auch bei der Missbrauchsaufarbeitung eine besondere Verantwortung und eine Vorbildfunktion, heißt es in dem Schreiben. Sie müsse viel mehr als bisher auf Betroffene hören und proaktiv Fälle aufklären. "Aufarbeitung und Aufklärung dürfen nicht wie bisher allein von Betroffenen geleistet werden", betonen die Verfasserinnen und Verfasser des Briefes.

Die Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozesse sollten evaluiert werden. "Der Schutz der Institution darf dabei keine Rolle spielen", heißt es weiter. Die Landessynode müsse sich als Parlament der Landeskirche schwerpunktmäßig um das Thema Missbrauch kümmern.

Landesbischof Meister sagte, er sei sich mit den Briefschreibern einig, "dass in der Vergangenheit große Fehler gemacht wurden". Die Ergebnisse der Studien müssten zu grundlegenden Veränderungen in der Kirche führen. Die Kirchenleitung werde diesen Prozess voranbringen und fördern. Allerdings müssten alle in der Kirche für diesen Kulturwandel Verantwortung übernehmen, forderte Meister. "Für mich ist deutlich: Die Kirche, auf die wir zugehen, darf und wird nicht die Kirche sein, die jetzt ist."

Kontroverser und kritischer Austausch

Der Bischof verwies auf bereits gestartete neuen Kommunikationsformen der Kirchenleitung mit der Basis. Bei zwei digitalen Treffen etwa habe es mit rund 500 Haupt- und Ehrenamtlichen einen offenen, kontroversen und kritischen Austausch gegeben.

Einige der Verfasser des Briefes bewerteten die Reaktion des Bischofs und die ersten Schritte in Richtung Veränderung positiv. Allerdings sei bei den digitalen Treffen auch deutlich geworden, dass die Kirchenleitung noch immer um Worte ringe, wenn sie Schuld und Fehler eingestehen solle, und wie groß ihre Distanz zur Basis sei, sagte Pastor Martin Miehlke aus Hannover dem epd. Er erwarte, dass die Kirchenleitung auch öffentlich benenne, wo sie schuldig geworden sei. "Das ist bisher nicht passiert."

Insgesamt gebe es durchaus Skepsis, ob mit allen Personen, die zum Teil seit mehr als ein Jahrzehnt die Landeskirche leiteten, der Kulturwandel gelingen könne, betonte Miehlke. "Immerhin fordern wir einen Haltungswechsel um 180 Grad." Pastorin Ina Jäckel aus Leer betonte, es müsse "Vertrauen wiederhergestellt werden, um in Zukunft vertrauensvoll zusammenzuarbeiten".

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
epd