Mehrere hunderttausende Gläubige bei Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Patriarchen Pavle

Belgrad im Ausnahmezustand

"Gospodi pomiluj", "Gott sei uns gnädig" hallt es durch die Belgrader Domkirche an diesem Morgen. Den getragenen Gesängen folgen monotone Gebete in Griechisch, Serbisch, Slowakisch oder Altslawisch. Die hohen Vertreter der Orthodoxie nehmen Abschied vom verstorbenen Patriarch Pavle. Und in Belgrad hundertausende Gläubige.

Autor/in:
Danja Antonovic
 (DR)

Die Totengebete sprechen das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit, Patriarch Bartholomaios, und der montenegrinische Metropolit Amfilohije. Das serbische Fernsehen und der Rundfunk übertragen die Trauerfeiern für Pavle, der am Sonntag im Alter von 95 Jahren gestorben war.

Um den kleinen Sarg, in dem der Patriarch liegt, stehen Kinder mit Kerzen in den Händen. Pavles fahles Gesicht strahlt Ruhe aus. Der Weihrauch mischt sich mit dem Duft der Wachsherzen. Die bärtigen Männer mit goldenen Kronen, die Gesänge, die Litanei, die sakrale Atmosphäre bringen den Himmel etwas näher. Hinter den Kirchenoberhäuptern und Bischöfen, die in lange weiße Gewänder tragen, stehen Trauergäste. Darunter kirchliche Würdenträger aus dem Ausland, Prinzessin Elisabeth von Jugoslawien, Diplomaten und Regierungsmitglieder mit Staatspräsident Boris Tadic an der Spitze.

Nach der mehrstündigen Messe in der Domkirche bewegt sich der Trauerzug zur Kathedrale des Heiligen Sava, die als eine der größten orthodoxen Kirchen gilt. An der Spitze geht ein Urenkel des Verstorbenen, der ein Holzkreuz trägt. Vor der Kathedrale wird eine Totenmesse im Freien gehalten.

Prozession durch die Altstadt
Die Straßen der Belgrader Altstadt, durch die sich die Prozession bewegt, sind von zehntausenden Menschen gesäumt - darunter viele Jugendliche in bunten Volkstrachten. Angeführt wird der Konvoi von einem weißen Jeep mit dem Sarg des verstorbenen Kirchenoberhauptes. Am frühen Nachmittag wird der Patriarch - wie es sein Wunsch war, im Garten des Frauenklosters Rakovica im kleinen Kreise und ohne Medien zu Grabe getragen.

Seit Tagen badet die serbische Hauptstadt in der Sonne. «Bei solchem Wetter werden Engel begraben», sagt eine kleine Frau. Die sommerlichen Temperaturen im November hat nicht jeder vertragen, Notärzte waren mehrmals im Einsatz. Auch am Donnerstag begleiten die Notarztwagen den Trauerzug. «Nehmen Sie eine Flasche mit und ziehen sie sich nicht zu warm an», raten Ärzte den Gläubigen.

Kilometerlange Schlangen
Mehrere Kilometer lang waren die Schlangen der Trauernden, die bis zu fünf Stunden ausharren mussten, um Einlass zu erhalten. Sie küssten seine gefalteten Hände oder verneigten sich. Pavles Bescheidenheit war es, die die Menschen gerührt hat, die in dem Kondolenzbuch festhalten: «Seine Güte war nicht von dieser Welt». Ein anderer Eintrag lautet: «Ich werde meinen Nachfahren erzählen, ich war dabei.»

Für orthodoxe Christen aus den Kirchenprovinzen Bosnien, Kroatien, Mazedonien und Montenegro wurden kostenlose Busse zur Verfügung gestellt. Die Kosovo-Serben machten sich schon um Mitternacht auf den Weg, um rechtzeitig nach Belgrad zu gelangen. Angesichts der langen Reihen von Wartenden wurde darauf verzichtet, in der Nacht zum Donnerstag die Kirche wegen der Vorbereitungen der Trauerfeiern einige Stunden zu schließen.

Drei Tage Staatstrauer
Seit vier Tagen ist Belgrad im Ausnahmezustand. Radio und Fernsehen haben ihre Programme geändert, das staatliche Fernsehen brachte einen dreiteiligen Dokumentarfilm über Pavles Leben, auf anderen Kanälen werden Priester und Bischöfe zu religiösen Fragen befragt. Aus dem Kabelnetz wurden sämtliche Sender, die Heiteres im Programm hatten, entfernt. Einzig B 92, der ehedem oppositionelle Sender, hat Werbung und Daily Soups im Programm.

Nach der dreitägigen Staatstrauer hat nun auch Belgrad den Donnerstag zum Trauertag ausgerufen. In Firmen und Geschäften wird nicht gearbeitet, die Schulen sind geschlossen. Rund eine halbe Million Menschen hätten seit Sonntag in der Domkirche von dem Patriarchen Abschied genommen, berichten serbische Medien. Pavle war seit 1990 Oberhaupt der rund sieben Millionen serbischen Orthodoxen. Ein Nachfolger kann erst nach Ablauf einer Trauerperiode von 40 Tagen bestimmt werden. Als Favorit gilt Bischof Amfilohije, der während Pavles Krankheit das Patriarchenamt bereits kommissarisch führte.