DOMRADIO.DE: Am 22. Juni hat der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, mit der Bundesregierung die "Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland" unterzeichnet. Ein Meilenstein im Kampf gegen den Missbrauch soll es sein. Acht Seiten hat das Dokument, und die Bistümer müssen diese gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, erarbeiteten Kriterien und Standards jetzt umsetzen. Ändert sich dadurch etwas an Ihrer Arbeit?
Manuela Röttgen (Präventionsbeauftragte im Erzbistum Köln und Sprecherin der Bundeskonferenz der Präventionsbeauftragten): Es ändert sich eigentlich nichts für mich. Es ist eine konsequente Weiterentwicklung unserer Arbeit, denn wir haben auch schon 2011 eine Vereinbarung mit dem unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung, Dr. Johannes Rörig, in Sachen Prävention unterzeichnet. Insofern begrüße ich sehr, dass es jetzt auch eine verbindliche Vereinbarung für die unabhängige Aufarbeitung geben soll.
DOMRADIO.DE: Was genau sieht dieses Präventionskonzept jetzt vor?
Röttgen: In der unabhängigen Aufarbeitung geht es jetzt darum, nochmal in den einzelnen Bistümern genau zu schauen, in welchem Ausmaß, in welchen Einrichtungen und Diensten sexualisierte Gewalt vorgekommen ist. Außerdem welche strukturellen Bedingungen sie begünstigt hat und ob auch im Umgang mit den Missbrauchsfällen persönliches Fehlverhalten zum Beispiel von Personalverantwortlichen begangen worden ist.
Aus dieser Untersuchung schöpfen wir als Präventionsbeauftragte Erkenntnisse, um genau dem vorzubeugen. Zukünftig werden für die Fallbearbeitung unsere Personalverantwortlichen so geschult, dass sie angemessen und professionell reagieren können und es Vertuschungen oder ein Nichtmehrhören der Betroffenen nicht mehr geben kann.
DOMRADIO.DE: Wie genau wird ein Kind selber geschult, das an eine erzbischöfliche Schule kommt, damit es weiß, wie es sich verhalten soll, wenn es in eine unangenehme grenzüberschreitende Situation kommt?
Röttgen: In erster Linie sollen die Schüler und Schülerinnen erleben und erfahren, dass sie in ihren Lehrern und Lehrerinnen kompetente, empathische, achtsame Erwachsene finden, denen sie sich anvertrauen können. Dass sie sich anvertrauen können, wenn sie tatsächlich einen Übergriff durch einen Mitschüler, eine Mitschülerin, einen Lehrer oder eine Lehrerin erfahren, und dass diese Lehrerin oder dieser Lehrer ihnen glaubt und Hilfe gibt.
Denn wir wissen aus der Erfahrung, dass sich Kinder bis zu acht Erwachsenen öffnen müssen, bis ihnen einer Glauben schenkt und Hilfe anbietet. Damit das einfacher geht, werden alle Lehrerinnen und Lehrer verbindlich in der Prävention geschult. Das heißt, was der unabhängige Beauftragte Johannes Rörig jetzt einfordert - nämlich Präventionsmaßnahmen in allen Schulen in Deutschland umzusetzen -, ist bei uns schon seit zehn Jahren Standard. Alle Lehrerinnen, die in unseren 32 erzbischöflichen Schulen arbeiten, haben eine Fortbildung zur Prävention erfahren und werden alle fünf Jahre in diesem Themenfeld vertieft.
DOMRADIO.DE: Gibt's dafür Lob?
Röttgen: Es wird noch nicht so gehört, wie das immer so ist. Die positiven Dinge werden nicht so in der Öffentlichkeit dargestellt, wie wir uns das vielleicht wünschen würden.
DOMRADIO.DE: Ist ihre Arbeit in diesen Corona-Zeiten beeinträchtigt gewesen?
Röttgen: Ja, weil die Präventionsschulungen in der Regel als Präsenzveranstaltungen stattfinden, wo externe Schulungsreferenten, die durch unsere Koordinationsstelle Prävention qualifiziert wurden, in die Kollegien gehen und mit den Lehrern und Lehrerinnen an diesem Thema arbeiten. Diese Präsenzveranstaltungen sind eine ganze Zeit lang ausgesetzt worden. Jetzt starten sie langsam wieder unter den Hygienestandards. Es sind kleinere Gruppen und zum Teil werden Präventionsschulungen auch im Moment als Webinare, also als Online-Schulungen, durchgeführt.
DOMRADIO.DE: Werden die Vereinbarungen Täter abhalten, ihre Taten auszuführen?
Röttgen: Wenn die Rückschlüsse aus dieser Untersuchung tatsächlich umgesetzt werden und flächendeckend erweiterte Führungszeugnisse in allen Einrichtungen eingeholt werden. Das ist ja zum Beispiel auch ein Standard, den es in der katholischen Kirche seit zehn Jahren gibt. Jeder Ehrenamtliche und jeder Hauptamtliche, der für uns tätig ist, muss ein erweitertes Führungszeugnis beibringen. Das schreckt Täter tatsächlich ab. Wird jetzt, wie die Justizministerin das eingefordert hat, das Strafmaß erhöht beziehungsweise besser ausgeschöpft - wir haben ja an sich ein gutes Strafrecht - glaube ich schon, dass das eine Signalwirkung auf Täter und Täterinnen haben wird.
Das Interview führt Uta Vorbrodt.