Weihbischof em. Klaus Dick verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft mit Benedikt XVI.

"Meinungsverschiedenheiten kennen wir nicht"

Sie teilen die Liebe zur Kirche und eine Leidenschaft für die intellektuelle Debatte. Bis heute verbindet den emeritierten Kölner Weihbischof Dick mit Papst Benedikt XVI. die Sorge um den Zustand der Kirche. Noch kürzlich trafen sie in Rom zusammen.

Seit Studientagen miteinander verbunden: Benedikt XVI. und Weihbischof em. Dr. Klaus Dick. (L’Osservatore Romano)
Seit Studientagen miteinander verbunden: Benedikt XVI. und Weihbischof em. Dr. Klaus Dick. / ( L’Osservatore Romano )

DOMRADIO.DE: Herr Weihbischof, als gebürtiger Kölner haben Sie von 1947 bis 1953 in Bonn, München und Bensberg studiert. Der spätere Papst Benedikt XVI. stammt aus dem bayrischen Marktl. Wann kreuzten sich zum ersten Mal die Wege der angehenden Theologen Klaus Dick und Joseph Ratzinger?

Dr. Klaus Dick (Kölner Weihbischof emeritus): Es war im Sommersemester 1949 in München, wo ich meine Freisemester verbrachte. Wir hörten dieselben Vorlesungen bei Professor Gottlieb Söhngen, der auch Kölner war, und besuchten bei ihm Seminare in Fundamentaltheologie. Von Söhngen wurde ich auf Joseph Ratzinger aufmerksam gemacht. Denn Söhngen schwärmte schon damals mit unverkennbar kölschem Slang von ihm: "Ne einmalije Bejabung". Er war von der wissenschaftlichen Kompetenz seines Studenten und dessen Arbeit über Augustinus, die Ratzinger zur Doktorarbeit ausbauen konnte, weil sie mit einem ersten Preis ausgezeichnet worden war, sehr beeindruckt. Ich begegnete Ratzinger in den Vorlesungspausen in Fürstenried, wohin die theologische Fakultät ausgelagert war, ohne dass wir jedoch intensiveren Kontakt gehabt hätten. Erst als er dann 1959 Professor in Bonn wurde und ich dort Studentenpfarrer war, trafen wir uns häufiger.

Der dritte im Bunde war Hubert Luthe, der spätere Essener Bischof, der ebenfalls in München studiert hatte. So waren Luthe und ich fast die einzigen, die Ratzinger im Rheinland kannte. In meine Studentengemeinde konnte ich ihn immer wieder einladen. Schon damals war er wegen seiner akademischen Expertise und einer gleichermaßen frappierenden Schlichtheit, komplexe Gedanken verständlich vorzutragen, hochgeachtet. Ihm zuzuhören war einfach ein Genuss.

DOMRADIO.DE: Dass Joseph Ratzinger in Bonn lehrte, hatte letztlich ja große kirchenpolitische Auswirkungen. Denn durch Luthe, der Erzbischöflicher Geheimsekretär von Kardinal Frings war, kam er in näheren Kontakt mit dem Kölner Erzbischof…

Dick: In der Tat. Auch Kardinal Frings war sehr angetan von diesem jungen Theologieprofessor. Und als der Erzbischof 1961 in Genua eingeladen war, einen Vortrag zur Vorbereitung auf das Zweite Vatikanische Konzil zu halten, bat er Ratzinger um einen Entwurf. Mit dieser Vorlage war er dann so einverstanden, dass er sie fast vollständig übernahm. Kurz nach diesem Vortrag nahm Kardinal Frings an einer Sitzung der Vorbereitungskommission zum Konzil teil, in deren Verlauf Papst Johannes XXIII. nach Frings rufen ließ, um ihm persönlich für seinen Vortrag zu danken. Er habe genau sein Anliegen, das er mit dem geplanten Konzil verknüpfe, getroffen. Bei dieser Gelegenheit verwies Frings, der sich nie mit fremden Federn schmücken wollte, dann auf die Zuarbeit durch Ratzinger. Schließlich bat er ihn, sein Konzilstheologe zu werden. Ich selbst hatte in den Jahren 1964 und 1965 gleich zweimal die Ehre, von Kardinal Frings für einige Tage in die Konzilsaula eingeladen zu werden. Die besondere Atmosphäre dieses Konzils mitzuerleben war für mich sehr eindrucksvoll.

DOMRADIO.DE: Zu dieser Zeit waren Sie Direktor des Collegium Albertinum. Wie hat der damalige Aufbruch auf Sie und die Alumnen gewirkt?

Dick: Zunächst einmal waren wir alle restlos begeistert und verfolgten intensiv den Ablauf des Konzils. Dass in der Zeit nach dem Konzil aus diesem Aufbruch von manchen ein völliger Neuanfang abgeleitet wurde, hat allerdings nicht wenige erschreckt. Übrigens auch Kardinal Frings. Für viele waren ja die Aussagen des Konzils wie eine Zwischenstufe zu einer radikalen Neuorientierung der Kirche.

Wie gesagt, in der Aula herrschte ein eigenes Flair. Für mich war besonders eindrucksvoll die Nähe der führenden Bischöfe der Weltkirche zu erleben. Frings gehörte dem Präsidium an und sprach ein vorzügliches Latein, die vorgeschriebene Konzilssprache. Er war ja bereits blind, sprach daher auswendig. Da hörten wirklich alle gebannt zu; niemand wollte seine Wortmeldungen verpassen. Das war schon außergewöhnlich. Und im Anschluss diktierte er noch auf der Rückfahrt im Auto in fließendem Latein seine Einlassungen bei solchen Sitzungen.

DOMRADIO.DE: Und wie haben Sie die inhaltliche Debatte erlebt?

Dick: Bei meinen Besuchen in der Konzilsaula waren für mich natürlich nur zufällige Themen zu erleben. Insgesamt hat mich gefreut, dass im Konzil alle wichtigen Fragen und Probleme angesprochen wurden. Allerdings dachte man im Traum nicht daran, eine neue Kirche zu errichten. Sie sollte eher wirkungsvoller in der Vermittlung des Glaubens werden. 

Ich erinnere mich noch gut, dass viele Medien das Konzil über die Jahre mit großer Skepsis begleitet haben. Man nutzte es, um auf eine eher grundsätzliche Glaubensunsicherheit aufmerksam zu machen. Dabei ging es eigentlich um eine ganz andere Frage: Wird das Konzil in Kontinuität oder im Widerspruch zur aktuellen Kirche gesehen? Das war ja ganz entscheidend. Nach der Schlusssitzung am 8. Dezember 1965 wendete sich mit einem Mal das Blatt. Es erfolgte in der Öffentlichkeit dann doch eine überraschend positive Bewertung dieser jahrelangen Beratungen. Vor allem wurde die sogenannte Liturgiereform als wesentliches Ergebnis des Konzils wahrgenommen, obwohl nachher manche Neuerungen über die Vorgaben des Konzils hinausgingen. Bis heute bewahre ich alle Konzilsakten auf, in denen jede Wortmeldung dokumentiert ist.

DOMRADIO.DE: Hat denn diese Entwicklung, die frischen Wind in die Kirche bringen wollte, Ihr eigenes Priestersein beeinflusst?

Dick: Nein, überhaupt nicht. Auch wenn sich die Fragen, die damals auf den Tisch kamen, bis heute stellen. Dazu kam dann ja die 1968er-Bewegung, die sich auch auf die angehenden Theologen auswirkte. Ich war daher nicht traurig, dass ich mich 1969 von der Leitung des Collegium Albertinum zurückziehen konnte. Denn hier manifestierte sich eine Studentenrevolte gegen Leitung und Obrigkeit. Letztlich – das war später dann deutlich zu spüren – wirkten sich die 68er verhängnisvoll für die Kirche aus. Sie waren die Kulturzerstörung schlechthin – nicht nur in der Kirche. Ich bin davon überzeugt: Von den negativen Folgen zehren wir noch heute.

DOMRADIO.DE: Gehörte zu diesen Fragen, die bis heute relevant geblieben sind, auch die nach der Priesterausbildung?

Dick: Bei allen berechtigten Überlegungen zur Heranbildung zukünftiger Priester, wie sie auch heute wieder diskutiert werden, bin ich der Überzeugung, dass das herkömmliche Priesterbild grundsätzlich nicht geändert werden müsste. In der Bewertung dieser Frage stimme ich übrigens mit Benedikt XVI. völlig überein.

DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie darüber hinaus die aktuelle Situation der Kirche ein?

Dick: Ich betrachte sie mit großer Sorge. Als Joseph Ratzinger und ich Anfang der 1950er Jahre geweiht wurden, konnten wir nicht ahnen, dass die Kirche in Deutschland eines Tages so aussehen würde, wie sie sich momentan zeigt. Das Erschütternde ist, dass selbst ein Großteil der Theologen heute nicht mehr an das glaubt, was die Kirche ausmacht. Sie ist der Hort der Wahrheit; wir sind auf das Glaubensbekenntnis hin getauft. Wenn aber jemand sagt: Ich habe Verständnis für die Bewegung "Maria 2.0" und zweifle an, was in der Kirche gilt – dann ist er in meinen Augen nicht mehr katholisch.

Der Knotenpunkt meiner Sorge ist vor allem der Klerus. Wir waren damals auch nicht tugendhafter als heutige Priester – ganz sicher nicht – aber wir waren verfügbar. Wie ein Familienvater, der auch Tag und Nacht zu sprechen ist. Der Zölibat wurde nicht als Problem empfunden. Der Priester war Verkünder der Wahrheit: "Cooperator veritatis". Wer die Kanzel dazu nutzt, seine persönliche Meinung zu äußern, betreibt meines Erachtens Amtsmissbrauch. Pro hominibus constitutus – für die Menschen bestellt – das ist unser alleiniger Auftrag. Ein Seelsorger darf niemals sagen: Ich bin nicht zuständig. Oder: Ich habe keine Zeit. Für uns war das Selbstverständlichste von der Welt, im Beichtstuhl zu sitzen, in der Schule Religion zu unterrichten und Ansprechpartner für Einzelne und in den pfarrlichen Gruppen zu sein. Ich betrachte es als eine große Gnade, in meinem Ruhestand noch immer eine Vielzahl an Beichtgesprächen zu führen und Brautpaare auf das Sakrament der Ehe vorzubereiten.

DOMRADIO.DE: Sie wurden 1975 Bischof, Joseph Ratzinger erst zwei Jahre später durch seine Ernennung zum Erzbischof von München. Nun begegneten Sie sich ja auch innerhalb der Bischofskonferenz. Das war ja sicher noch einmal eine neue Ebene…

Dick: Es war damals Usus, neuen Mitgliedern der Bischofskonferenz das "Du" anzubieten. Das führte sicher noch einmal zu einer Intensivierung unserer Beziehung. Ich war heilfroh, dass er nun Teil des Episkopates war und durch seine Erhebung zum Kardinal nur drei Wochen nach seiner Bischofsweihe bei den Sitzungen immer am Vorstandstisch Platz nahm. Das heißt, wir waren nicht auf gleicher Ebene – auch nicht, was die Wissenschaft anging. Da blieb ich doch mehr der "Empfänger" und ließ mich auch immer wieder gerne von Ratzinger "belehren", wenn wir über eine aktuelle Publikation von ihm sprachen. Doch einen Diskurs über die Entwicklung der Kirche, den wir später nach seiner Emeritierung dann in Rom fortsetzten, haben wir trotzdem immer beibehalten.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn empfunden, als Kardinal Ratzinger 2005 dann aus dem Konklave als Papst hervorging?

Dick: Das war einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens. Ich war bereits mehr als begeistert gewesen, als er 1978 Erzbischof von München wurde. Da ich damals selbst schon Bischof war, gehörte ich auch zu den Konsekratoren bei seiner Weihe. Ich wusste, dass dieser Theologe in den zu dieser Zeit ja deutlich spürbaren innerkirchlichen Turbulenzen genau den richtigen Standpunkt vertrat. Was die Bewertung der Entwicklung der Kirche betraf, waren wir schon immer einer Meinung gewesen. Und nun erst recht.

Natürlich wollte ich dann auch in Rom bei seiner Einführung als Papst mit dabei sein. Bei den Pallottinerinnen bekam ich damals eines der letzten Zimmer, als ich zu seiner Amtseinführung reiste. Was kann man schon Erhebenderes erleben, als dass jemand Papst wird, dem man theologisch so nahe steht. "Wir sind Papst" wurde zwar damals euphorisch von der Bild-Zeitung getitelt, aber das spiegelte keineswegs die Stimmung in Deutschland und auch nicht die unter den deutschen Bischöfen wider. Gerade mal acht Bischöfe aus Deutschland nahmen an der Sonderaudienz für die Deutschen teil. Das war eine Blamage. Und bei dem Besuch von Papst Benedikt 2011 in Deutschland habe ich mich angesichts des Bildes, das Kirche und weltliche Öffentlichkeit abgaben, geradezu geschämt, Deutscher zu sein. Schon als Erzbischof von München und später dann als Glaubenspräfekt war Kardinal Ratzinger keineswegs von allen deutschen Theologen hoch geschätzt. Dabei war er allen immer von Anfang an überlegen gewesen.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen es an: In seiner Heimat wird der emeritierte Papst oft kritisiert. Sein Privatsekretär, Erzbischof Gänswein, äußert sich immer wieder dazu. Zuletzt noch, als es um einen Aufsatz von Benedikt in einem von Kardinal Sarah herausgegebenen Buch zum Zölibat ging. Oder aber ich erinnere an sein Schreiben zum Thema "Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs", in dem Benedikt XVI. den Verfall der kirchlichen Morallehre und eine zunehmende Gottlosigkeit in Kirche und Gesellschaft, angefangen mit der liberalen Lebenshaltung in den 1968 Jahren, anprangert. Das hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Sprechen Sie mit Papst Benedikt über diese Themen?

Dick: In unseren Gesprächen merkt man, dass wir durch dieselbe theologische Schule gegangen sind. Selbstverständlich bin ich dann eher der Hörende, zumal ich nach meiner Promotion nicht mehr wissenschaftlich tätig sein konnte, weil ich mit anderen Aufgaben betraut wurde. Aber unsere Studienjahre verbinden uns zeitlebens. Bei Themen der Kirche von heute oder kirchenpolitischen Fragen gibt es zwischen uns nie einen Dissens. Natürlich sprechen wir über das, was uns in dieser Kirche bewegt, und auch über solche Kommentare, die seine Aufsätze oder Wortmeldungen betreffen. Worüber wir nie gesprochen haben, sind sein Rücktritt und sein Nachfolger. Zu beidem habe ich ihn nie befragt. Das gehört sich einfach nicht.

Was mich freut, ist unsere Übereinstimmung bei der Bewertung der Themen. Einschließlich der letzten Silbe teile ich Benedikts Auffassung. Meinungsverschiedenheiten kennen wir nicht, haben wir nie gehabt. Auch als wir uns früher etwa in der Bischofskonferenz begegneten, musste ich nie fragen: Wie denkst Du darüber? Es war eben klar, was der jeweils andere dachte. Und wenn ich heute meine Meinung äußere, ist das gleichbedeutend, als würde er sprechen. Da denken wir einfach gleich.

DOMRADIO.DE: Schmerzt Sie die zunehmende Kritik an einem Menschen, den Kardinal Meisner aufgrund seiner außergewöhnlichen Intellektualität einst als Mozart unter den Theologen bezeichnet hat?

Dick: Selbstverständlich bedauere ich diese Kritik sehr. Aber eigentlich kenne ich es nicht anders. Benedikt hatte von Anfang an seine Kritiker. Dabei war er uns allen, wie gesagt, immer schon eine Länge voraus.

DOMRADIO.DE: Wie gestaltet sich heute im Alter Ihre Verbindung?

Dick: Seit Benedikts Emeritierung haben wir regelmäßig Kontakt. Auch wenn wir uns immer schon gut verstanden haben, wurde nun zunehmend von ihm die freundschaftliche Seite unserer Beziehung betont. Nachdem der Papst seinen Rücktritt erklärt hatte, habe ich angefragt, ob ich ihn noch besuchen könne. Er antwortete, er würde sich freuen, und schrieb wörtlich: "Wir kennen uns so lange!" Seitdem versuche ich, jedes halbe Jahr nach Rom zu reisen. So zeigt sich, dass wir auch jetzt noch "in alter Freundschaft" verbunden sind, wie er seine Briefe immer unterzeichnet hat.

DOMRADIO.DE: Anfang Dezember haben Sie zuletzt einen Besuch bei Papst Benedikt gemacht. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

Dick: Man merkt ihm sein zunehmendes Alter an. Er tut sich mit dem Gehen schwer, und auch das Sprechen macht ihm Mühe. Aber geistig ist er nach wie vor so frisch und klar wie immer.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Weihbischof emeritus Dr. Klaus Dick in seiner Wohnung bei den Elisabeth-Schwestern in Lindenthal / © Beatrice Tomassetti (DR)
Weihbischof emeritus Dr. Klaus Dick in seiner Wohnung bei den Elisabeth-Schwestern in Lindenthal / © Beatrice Tomassetti ( DR )

Der bereits emeritierte Erzbischof Josef Kardinal Frings, einer der Konzilsväter, besucht Pfarrer Dr. Klaus Dick 1973 in St. Antonius, Wuppertal.  (privat)
Der bereits emeritierte Erzbischof Josef Kardinal Frings, einer der Konzilsväter, besucht Pfarrer Dr. Klaus Dick 1973 in St. Antonius, Wuppertal. / ( privat )

Weihbischof em. Dick mit Papst Benedikt XVI.  (KNA)
Weihbischof em. Dick mit Papst Benedikt XVI. / ( KNA )

Am 25. Februar 2018 beging Weihbischof em. Dick mit Erzbischof und Domkapitel sein 65-jährigen Priesterjubiläum im Kölner / © Beatrice Tomasetti (DR)
Am 25. Februar 2018 beging Weihbischof em. Dick mit Erzbischof und Domkapitel sein 65-jährigen Priesterjubiläum im Kölner / © Beatrice Tomasetti ( DR )
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