Menschenrechtler kritisiert geplanten Yildirim-Auftritt

"Das ist ein Skandal"

Der Werbeauftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Oberhausen für das Präsidialsystem und die mögliche Einführung der Todesstrafe wirft dunkle Schatten voraus. Menschenrechtler Martin Lessenthin spricht von einem Skandal.

Wohin steuert die Türkei? / © Lukas Schulze (dpa)
Wohin steuert die Türkei? / © Lukas Schulze ( dpa )

domradio.de: Es geht bei der Veranstaltung an diesem Samstag um eine Werbung für die Zustimmung zu einem Doppelreferendum, die Einführung der Todesstrafe und das Präsidialsystem mit weitgehender Abschaffung demokratischer Strukturen. Wird denn erwartet, dass der türkische Premierminister Binali Yildirim offen darüber spricht?

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte): Wir erwarten, dass sich Yildirim voll ins Zeug legt, um Erdogans Präsidialreform zu pushen. Er möchte sicherlich seine Gemeinde, seine Zuhörer in Oberhausen, dazu bewegen, dies zu unterstützen - wenn nicht durch die eigene Stimme, so dann doch durch eine entsprechende Stimmung gegenüber den in der Heimat Lebenden. Es ist ein offenes Geheimnis, das Erdogan selber mehrfach betont hat, dass er in diesem Referendum, das ihm präsidiale Stärke bisher nicht gekannten Ausmaßes verleihen wird und ein Abschied von der Parlamentsdemokratie der Türkei sein kann, ein Signal sieht, um damit auch die Todesstrafe in der Türkei wieder einführen zu können.

domradio.de: Wie kann das denn sein, dass jemand in Deutschland offen für die Todesstrafe werben kann?

Lessenthin: Das ist ein Skandal. Ich wundere mich ehrlich gesagt, dass das kritische Echo der deutschen Öffentlichkeit - insbesondere der demokratischen Parteien in Deutschland - noch so milde ist. Was hier geschieht, ist im Grunde undenkbar, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, nicht mit der Humanität vereinbar, nicht mit der traditionellen deutschen Außenpolitik vereinbar und vor allem auch nicht mit den europäischen Grundwerten vereinbar. Deswegen muss ein breiter Protest hörbar werden, auch durch die Regierenden in Berlin, durch die Regierenden in Düsseldorf und Vertreter aller demokratischen Parteien.

domradio.de: Es wird ja auch für ein demokratiefeindliches System geworben, Sie sagten es bereits. Wie ist das denn in Deutschland möglich? Geht unsere Meinungsfreiheit wirklich so weit?

Lessenthin: Natürlich kann jemand in einer geschlossenen Veranstaltung oder an seinem Lieblingsstammtisch sagen, dass er sich die Todesstrafe wünscht. Viele tun dies, wenn sie von einem schrecklichen Verbrechen hören. Aber natürlich ist das etwas, das schon lange nicht mehr zu unserer politischen Kultur passt. Wenn wir genau hinschauen, was damit in der Türkei bezweckt wird, nämlich die Todesstrafe für diejenigen einzuführen, die sich gegen den autokratischen Kurs von Erdogan, gegen den Abbau wesentlicher Menschenrechte wie der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit oder der religiösen Selbstbestimmung wenden, dann muss uns das aufrütteln und dann müssen wir "Stopp" sagen und dann können wir auch nicht - selbst wenn wir das wie Martin Schulz zum Beispiel über Jahre getan haben - weiterhin sagen, Europa sei prinzipiell für die Türkei offen.

domradio.de: Wie kann es denn sein, dass so eine Ansprache in einem Land gehalten wird, das demokratisch ist, Religionsfreiheit hat und die Menschenrechte achtet? Wie geht das?

Lessenthin: Das ist auf deutschem Boden rechtlich möglich, dass man einen Veranstaltungsort mietet, um dort die eigene Veranstaltung durchzuführen. Ein privater Veranstalter vermietet Räumlichkeiten. Eine private Institution, die dort auftritt - wie Herr Yildirim - ist der Mieter, und wer dorthin kommt, ist von denen geladen. Es ist dennoch verwerflich, was dort geschieht und wie im Grunde mit den Mitteln der Rechtsstaatlichkeit, die bei uns gelten, gegen die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei vorgegangen wird, von der ja ohnehin nicht mehr viel übriggeblieben ist - nach den Massenentlassungen im Rechtssystem und in anderen Bereichen der Türkei.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

Binali Yildirim / © Str (dpa)
Binali Yildirim / © Str ( dpa )
Quelle:
DR