domradio.de: Am Wochenende hat es einmal mehr politische Verhaftungen gegeben - über 200 waren es sogar. Was war da los?
Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, IGFM): Leider hören wir jedes Wochenende von neuen Verhaftungsrekordzahlen. Grund ist, dass kubanischen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, insbesondere von den "Damen in Weiß" und der Bewegung "Unpacu" auf die Straße gegangen sind, um die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern. Das behagt den Autoritäten nicht. Raul Castro möchte gerne Ruhe, am besten Friedhofsruhe, damit es keine Zeichen von Unzufriedenheit in seinem Lande gibt, wenn Obama auf der Insel eintrifft.
domradio.de: Sie haben gerade die "Damen in Weiß", die "Damas de Blanco" erwähnt. Diese sind der Zusammenschluss von Angehörigen politisch Verfolgter und protestieren ausschließlich friedlich. Warum sind gerade sie dem Castro-Regime so ein Dorn im Auge?
Lessenthin: Weil dieser Protest der Damen, die, wie der Name schon sagt, sich als Zeichen der Unschuld weiß kleiden, und die für nichts anderes eintreten als für die Freilassung ihrer Söhne oder Ehemänner oder Brüder, die politische Gefangene sind, sich in Havanna auf den Straßen abspielt. Sie ziehen in stillem Protest mit Gladiolen durch die Straßen, um gesehen zu werden und anzuklagen, dass es diese ungerechtfertigte Haft gibt. Genau das kann das Regime nicht ertragen.
domradio.de: Woher beziehen Sie Ihre Information über diese Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen?
Lessenthin: Die internationale Gesellschaft für Menschenrechte ist auf Kuba mit einer eigenen Gruppe vertreten. Diese Gruppe von Menschenrechtsverteidigern und Bürgerrechtlern informiert uns zeitnah. Darüber hinaus kommt es durch die Unterstützung von verschiedenen Gruppen auf der Insel - Frauengruppen und Bürgerrechtsbewegungsgruppen, sowie unabhängiger Journalisten, die mit der IGFM in Verbindung stehen - für uns immer zu einem aktuellen Austausch von Informationen. Diese Informationen wollen wir dann zum Schutz der betroffenen Opfer in die Öffentlichkeit bringen.
domradio.de: In den vergangenen Wochen wurde viel von einem politischen Tauwetter mit Kuba berichtet. In Sachen Menschenrechtslage konnten Sie so ein Tauwetter aber anscheinend noch nicht ausmachen, oder?
Lessenthin: Die Grundstruktur der Menschenrechtsverletzung durch eine Diktatur hat sich nicht geändert. Was die Diktatur ändert, ist ihre Öffentlichkeitsarbeit. Sie sind geschickter im Verstecken von Menschenrechtsverletzungen. Sie müssen aber auch hinnehmen, dass sich immer mehr Kubaner oppositionellen Gruppen anschließen und dass sich diese Kubaner miteinander vernetzen. Kuba spielt recht geschickt auch auf dem internationalen diplomatischen und politischen Parkett und suggeriert immer dann, wenn es eine Freilassung gibt, die zum Beispiel als Willkommensgeschenk für Obama oder als Willkommensgeschenk für den Papst öffentlich gestellt wird, dass sich etwas verbessern würde. De facto ist es aber so, dass oft den freigelassenen oder auch nur zeitweilig freigelassenen politischen Gefangenen neue Inhaftierungen oder andere Menschenrechtsverletzungen gegenüberstehen. Da wollen wir die Diktatur nicht rauslassen. Das möchten wir bekannt machen.
domradio.de: Nach den USA plant nun auch die EU einen regelmäßigen Dialog mit Kuba. Beide Seiten haben gerade ein Rahmenabkommen über einen entsprechenden Gesetzesentwurf unterzeichnet. Wie bewerten Sie als Menschenrechtler diese Entwicklung?
Lessenthin: Ich bin nicht dafür, Kuba zu isolieren. Als Menschenrechtler haben wir auch nie zu einem Boykott in irgendeiner Weise aufgerufen. Wir möchten allerdings, und da appellieren wir an die EU-Partner und an die Bundesregierung, messbare Fortschritte bei der Menschenrechtslage erzielen. Und für jeden dieser Fortschritte kann es ein kleines Entgegenkommen geben. Und wenn es viele Fortschritte gibt und alle politischen Gefangenen frei gelassen werden, auf Kuba die Erlaubnis besteht, freie Gewerkschaften zu gründen, freie christliche Lehrerverbände und auch eine politische Pluralität einschließlich freier Wahlen kommt, dann gibt es kaum noch etwas, das eine innige Zusammenarbeit der Europäer mit der kubanischen Seite aufhalten kann. Dann wird sich auch General Raul Castro freien Wahlen stellen müssen. Das muss das Ziel aller sein, denen an einer Verbesserung der Menschenrechtslage auf Kuba gelegen ist.
domradio.de: Kommen wir noch einmal auf den anstehenden Obama-Besuch zurück. Haben Sie die Hoffnung, dass der anstehende Obama-Besuch in Kuba etwas Bewegung in die festgefahrene Menschenrechtslage bringen kann?
Lessenthin: Ich denke, dass es Bewegung gibt. Jeder dieser international Beachtung findenden Besuche führt dazu, dass Menschen, die zu Unrecht inhaftiert waren, auch freigelassen werden. Das sind symbolische Akte, Willkommensakte, weil man ja etwas von der anderen Seite erwartet und deswegen etwas bieten möchte. Wir wünschen uns natürlich, dass ein so bedeutender Besuch, wie der eines amerikanischen Präsidenten dazu führt, dass ganz, ganz viel in Bewegung kommt und dass es auch wirkliche Bewegung ist und nicht nur ein Strohfeuer oder Konfetti für die Momente des Besuches, wo danach quasi wieder die Schotten dicht gemacht werden. Das wäre natürlich fatal. Das wäre ein Schlag in das Gesicht aller, die sich mit großem Engagement für Pluralität und Menschenrechte in Kuba einsetzen. Aber ich denke, das weiß Obama auch.
Das Interview führte Hilde Regeniter.