KNA: Wie viele Staaten haben die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen von 1984 bisher unterzeichnet?
Maria Scharlau (Expertin bei Amnesty International): Aktuell sind 161 Länder Vertragsstaaten. Das klingt erst einmal erfreulich. Interessant ist der Blick auf die Länder, die nicht ratifiziert haben wie Indien, Sudan und Iran. Aber die schlechte Nachricht ist, dass die Unterzeichnung der Konvention nicht bedeutet, dass ein Land sich auch daran hält. Unterzeichnet haben zum Beispiel auch Syrien 2004 und die Türkei 1988 - da ist Folter dennoch eine übliche Praxis.
KNA: Die Antifolterkonvention ist völkerrechtlich bindend.
Scharlau: Ja. Folter ist immer ein Bruch des Völkerrechts. Bei Folter handelt es sich um einen eklatanten Tabubruch.
KNA: Wie stehen Sie zu der Definition von Folter in der Konvention?
Scharlau: Sie ist zwar allgemein gehalten, aber aus Sicht von Amnesty International sind die wesentlichen Elemente drin: die Zufügung von großem Schmerz oder Leid, das Vorsätzliche durch eine staatliche Stelle sowie ein bestimmter Zweck, die Erlangung eines Geständnisses oder zur Einschüchterung. Allerdings gibt es Auslegungsfragen, etwa wenn ein Staat die Folter duldet, aber nicht selbst ausführt.
KNA: In einem Bericht hat Amnesty in vielen Staaten Folter beobachtet.
Scharlau: Von 2009 bis 2014 haben wir Folter oder Misshandlungen, etwa schlechte Haftbedingungen, in 141 Staaten festgestellt. Wir haben aber keine Möglichkeit, sie in weiteren Ländern auszuschließen, weil das Verbrechen häufig im Verborgenen passiert. Viele Staaten sind sehr sorgfältig darin, Folter und Misshandlungen zu vertuschen.
KNA: Wie geschieht Folter im Verborgenen?
Scharlau: Es gibt die "weiße Folter", wozu auch das Waterboarding gehört, also das simulierte Ertränken. In diesen Fällen kann man keine Narben oder ausgeschlagenen Zähne sehen. Wie bei der psychischen Folter - etwa durch laute Musik bei Tag und Nacht, Schlafentzug, ständige Beleuchtung.
KNA: Geschieht die "weiße Folter" auch in Ländern, die nicht als "Folterstaaten" bekannt sind?
Scharlau: Es ist die Frage, was man unter "Folterstaaten" versteht. Folter ist zum Beispiel relativ häufig in Syrien oder Nigeria. Da wird Opfern ins Bein geschossen, sie werden an den Armen aufgehängt. In Ländern, in denen viel gefoltert wird, werden die Täter meist nicht bestraft: Dasselbe System, das foltert, wäre ja auch für die Strafverfolgung zuständig. Menschenrechtsverletzungen finden unabhängig vom staatlichen System statt.
KNA: Haben Sie Sorgen wegen der Äußerungen von US-Präsident Donald Trump, der gesagt hat, er halte Folter für effektiv und wolle Waterboarding sowie andere umstrittene Verhörmethoden wieder zulassen? Die CIA hatte nach dem 11. September 2001 Waterboarding praktiziert.
Scharlau: Für uns ist es ein alarmierendes Signal, dass sich ein Präsident der USA positiv zu Folter geäußert hat. Amnesty fordert im Übrigen, dass diejenigen, die nach dem 11. September 2001 unter anderem durch Waterboarding gefoltert haben, vor Gericht gestellt werden.
KNA: Auf welche Länder richtet sich aktuell Ihr Augenmerk?
Scharlau: Ein Land, in dem systematisch gefoltert wird, ist Syrien. Dort sind immer noch die berüchtigten Foltergefängnisse des Assad-Regimes in Betrieb, etwa Saydnaya, wo Tausende im Geheimen umgebracht wurden, viele von ihnen wurden zu Tode gefoltert.
KNA: Wie ist die Lage in der Türkei, die momentan stark im Fokus der Öffentlichkeit steht?
Scharlau: Dort gab es schon immer ein Problem mit Folter, das in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen war. Seit dem Putsch und der Verschärfung der Menschenrechtslage unter Präsident Recep Tayyip Erdogan generell haben die Berichte über Folter wieder extrem zugenommen.
KNA: Gibt es noch andere Länder?
Scharlau: Mexiko ist ein Land, das auf dem Papier gute Antifoltergesetze verabschiedet hat. Hier gehen Theorie und Praxis aber weit auseinander, weil im Kampf gegen Organisierte Kriminalität massiv gegen Menschen, auch Unschuldige, vorgegangen wird. 2016 wurden 4.715 Anzeigen wegen Folter erstattet. Demgegenüber steht Straflosigkeit. Es ist sehr häufig, dass Folter im Namen der nationalen Sicherheit oder im Kampf gegen Terrorismus angewandt wird. Ein Grund ist, dass die Polizei Ermittlungsergebnisse vorweisen will.
KNA: In Deutschland kommen Flüchtlinge an, die Folter erlitten haben.
Scharlau: Wir fordern schon lange die Stärkung der Behandlungszentren für Überlebende. Es gehört zu den Rechtsansprüchen eines Opfers von Folter, dass es medizinisch rehabilitiert wird. Auch in den Behörden und Erstaufnahmeeinrichtungen ist entsprechend geschultes Personal nötig. 2015 haben die Behandlungszentren angegeben, dass sie nur 15 Prozent des Bedarfs decken können. Bund und Länder müssen sich stärker finanziell an den Zentren beteiligen.