domradio.de: Der Bischof von Aleppo ist gerade in Rom. Was sagt er und wie beschreibt er die Situation in Aleppo?
Berthold Pelster (Menschenrechtsexperte beim katholischen Hilfswerk "Kirche in Not"): Er beschreibt die Situation als absolut dramatisch. Das ist eine humanitäre Katastrophe, die sich in Aleppo und ganz Syrien abspielt. Das Land liegt in Trümmern, aber Aleppo ist besonders hart umkämpft zwischen den Regierungstruppen, die noch einen Teil der Stadt kontrollieren und den Rebellenmilizen, die einige Teile der Stadt erobert haben.
domradio.de: Können Sie beschreiben, wie es in Aleppo aussieht?
Berthold Pelster: Die Stadt ist zerbombt und vieles ist zerstört. Es gibt seit mindestens zwei Monaten kein fließendes Wasser mehr. Der Bischof von Aleppo hat uns beschrieben, dass man auf den Straßen Kinder sieht, die mit leeren Flaschen verzweifelt auf der Suche nach Wasser sind. Zum Glück hat die chaldäisch-katholische Gemeinde in Aleppo einen eigenen Brunnen und kann von dort noch viele Menschen mit Wasser versorgen. Die öffentliche Wasserversorgung ist dagegen völlig zusammengebrochen. Es gibt auch keinen Strom mehr. Die Menschen sind in einer verzweifelten Lage. Viele sind arbeitslos, sie haben kein Geld mehr und die Ersparnisse sind aufgebracht. Der Bischof hat das sehr dramatisch beschrieben, indem er ausführte, dass die früher reichen Menschen inzwischen alle weg sind. Sie haben das Land verlassen und woanders eine neue Bleibe gesucht. Die Menschen, die früher zur Mittelschicht gehörten, zählen jetzt zu den armen Menschen. Und diejenigen, die früher schon arm waren, leben jetzt in einem totalen Elend.
domradio.de: Warum ist die Situation der Christen ganz besonders dramatisch?
Berthold Pelster: Die Christen sitzen in allen Konflikten im Nahen Osten zwischen den Stühlen. Sie sind eine kleine schutzlose Minderheit, die teilweise gezielt von islamistischen Rebellengruppen angegriffen wird. Die Christen sind auf sich allein gestellt und ihre Zahl sinkt immer weiter. Es gab vor dem Krieg rund 1,2 Millionen Christen in Syrien, mittlerweile ist ungefähr die Hälfte der Christen auf der Flucht. Der eine Teil ist innerhalb des Landes geflohen, der andere Teil hat Syrien ganz verlassen. Aus Aleppo sind von 150.000 Christen rund 100.000 aufgrund der Gewalt weggegangen.
domradio.de: Das heißt, man muss Sorge haben, dass es demnächst in Syrien keine Christen mehr gibt?
Berthold Pelster: Die momentane Situation ist sehr, sehr dramatisch. Es ist sehr schwer, da ein Hoffnungszeichen zu entdecken. Die Bischöfe, mit denen wir sprechen, sind höchst verzweifelt. Trotzdem müssen wir diesen Menschen helfen, denn nicht alle können fliehen, weil sie einfach nicht die Mittel dazu haben und die Schleuser nicht bezahlen können. Viele Christen müssen im Land bleiben und sind auf humanitäre Hilfe von Außen angewiesen. Da müssen Hilfswerke, wie Kirche in Not, tätig werden.
domradio.de: Sich politisch zu äußern, ist sehr gefährlich. Gibt es Bischöfe, die auch sagen, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, mit Assad zu reden oder hält sich die Kirche in Syrien diesbezüglich zurück?
Berthold Pelster: Die Christen haben vor dem Bürgerkrieg gesagt, dass sie mit der Situation relativ zufrieden waren. Es gab zwar keine politische Freiheit, aber zumindest Sicherheit und Ordnung. Die Christen konnten als Minderheit ihr religiöses Leben frei entfalten. Das ist verloren gegangen und wird so schnell auch nicht wieder herzustellen sein. Wie es in Zukunft weitergehen soll, wissen auch die Christen nicht.
domradio.de: Kirche in Not unterstützt die syrische Zivilbevölkerung. Wie helfen sie?
Berthold Pelster: Wir leisten humanitäre Hilfe, indem wir den Bischöfen und Priestern vor Ort ermöglichen, den notleidenden Menschen zu helfen. Das sind auch nicht immer nur Christen, sondern auch vielfach Muslime, die wir mit Nahrungsmitteln, Wasser, Kleidung oder Finanzhilfen unterstützen. Es ist, wie gesagt, bei vielen Menschen das finanzielle Polster aufgebraucht. 80 Prozent der Menschen in Aleppo haben keine Arbeit mehr. Diesen Leuten muss man mit dem Nötigsten helfen. Wir haben seit Beginn des Bürgerkrieges alleine acht Millionen Euro investiert. Das Geld reicht aber bei weitem nicht aus. Die Hilfe muss weitergehen.
Das Interview führte Johannes Schröer.