domradio.de: Den ökumenischen Gottesdienst haben der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck und der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, gehalten. Was hat denn Bischof Overbeck den Delegierten mit auf den Weg gegeben?
Prälat Dr. Karl Jüsten (Katholisches Büro Berlin): Bischof Overbeck hat zunächst einmal hervorgehoben, dass wir auf das Weihnachtsfest zugehen, auf das Fest der Erlösung unseres Herrn Jesus Christus, und hat dann auch eine sehr nette Anspielung gemacht, dass wir auf den Erlöser warten und der Erlöser ist bereits in Jesus Christus da und deshalb bräuchten wir nicht auf innerweltliche Erlöser zu warten - da musste dann die Kanzlerin schmunzeln. Das bezog sie also offenkundig auch auf sich, dass sie sagt: 'Ich bin nur die Kanzlerin, aber nicht der Erlöser'. Sonst hat er schon auch sehr ernste Töne angeschlagen, er hat vor allen Dingen herausgearbeitet, dass es darauf ankommt in der Politik, dass Programm und Personen zusammenkommen müssen, dass also zwischen dem, was der Mensch sagt, was seine Partei fordert und den Personen, die das dann vertreten, eine Identität bestehen muss.
domradio.de: Bischof Overbeck hat in seiner Predigt zu mehr Glaubwürdigkeit in der Politik aufgerufen. Inwiefern ist das Thema auf dem Parteitag?
Jüsten: Ich glaube, die Kanzlerin hat selbst in ihrer Parteitagsrede versucht, das auch zu intonieren und hat eine Rückschau gehalten zwischen dem, was sie in den vergangenen Jahren gemacht hat und hat einen Ausblick gewagt auf das, was ansteht. Sie ist ja eher unprätentiös und dadurch verkörpert sie im Grunde genommen einen Typus Politiker, der nicht aufschneidet, der nicht marktschreierisch ist, sondern die Dinge so benennt, wie er sie sieht - damit verkörpert sie auch in besonderer Weise eine hohe Glaubwürdigkeit, selbst bei denen, die nicht bereit sind, ihrer Politik zu folgen - aber das kann man in einer Demokratie auch nicht erwarten.
domradio.de: Was hat Sie an Merkels Rede beeindruckt?
Jüsten: Die Rede war zweigeteilt. Der erste Teil war politischer Natur, ihre politische Agenda - der zweite Teil war eher an die Parteitagsdelegierten gerichtet, auch sehr emotional. Der ist mir persönlich nähergegangen, weil sie da auch als Mensch mehr durchgescheint hat. Damit hat sie dann auch die Delegierten erreicht, sodass die am Ende gar nicht mehr aufhörten mit Applaus.
domradio.de: Der Leitantrag auf dem Parteitag heißt "Orientierung in schwierigen Zeiten" - gab es Lösungsansätze, woran die Menschen sich orientieren sollen?
Jüsten: Das war jetzt keine Regierungserklärung, wo man jetzt also konkrete Lösungsansätze für konkrete Probleme erwarten darf. Das war doch eher mehr so eine Rede, die sagte: 'Liebe Parteifreunde, ich bin bereit, nochmal anzutreten und seid ihr bereit, mir zu folgen?' Das war jetzt nicht so eine Rede, wo viele neue Ideen diskutiert wurden.
domradio.de: Merkel ist für Sie als Schnittstelle zwischen Politik und Kirche ja immer auch eine Ansprechpartnerin, was würde Ihnen eine Wiederwahl bedeuten?
Jüsten: Ich bin jetzt seit 16 Jahren da, Frau Merkel ist seit 16 Jahren Parteivorsitzende, da kennt man sich schon gut und da haben wir natürlich auch sehr viele gute Gespräche miteinander gehabt und wir können einander vertrauen. Das würde ich vielleicht sogar mit als eine ihrer besten Charaktereigenschaften hervorheben: Dass man ihr gut vertrauen kann.