Migrations-Berater über junge Einwanderer - auch aus Nordafrika

"Es müssen Perspektiven entwickelt werden"

In der Sicherheitsdebatte um die Kölner Silvesternacht stand eine Gruppe nordafrikanischer Einwanderer im Fokus. Tim Westerholt beschäftigt sich bei der Caritas seit Jahren mit jungen Einwanderern und fordert mehr Perspektiven.

Polizisten umringen am 31.12.2016 vor dem Hauptbahnhof in Kölneine Gruppe südländisch aussehender Männer. / © Henning Kaiser (dpa)
Polizisten umringen am 31.12.2016 vor dem Hauptbahnhof in Kölneine Gruppe südländisch aussehender Männer. / © Henning Kaiser ( dpa )

KNA: Herr Westerholt, welche Erfahrungen haben Sie mit der in der Silvesternacht auffälligen Personengruppe von Nordafrikanern gemacht?

Tim Westerholt (Leiter des Caritas-Fachdienstes Integration/Migration): Die Beratung von jugendlichen Nordafrikaner stellt uns oft vor besondere Herausforderungen, jedoch sind diese nicht dem geografischen Hintergrund geschuldet. Denn auch junge Hilfesuchende aus anderen Ländern stehen vor großen Hürden, die ihre Integration erschweren.

KNA: Welche Schwierigkeiten sind dies?

Westerholt: Diese Flüchtlinge empfinden eine Perspektivlosigkeit. Sie stehen unter enormen Druck, denn häufig wurden die jungen Menschen von ihren Familien nach Europa geschickt, um einen besseren Lebensstandard zu erlangen - für sich und in der Folge auch für die Familie. Dann haben sie es über Grenzzäune oder das Meer nach Europa geschafft und haben aber durch die europäische Asylpolitik wenige Anknüpfungspunkte, weiter voran zu kommen. Sie sind ausgeschlossen von Bildung, Arbeit und Regelleistungen. Personen aus den Maghreb-Staaten - also Tunesien, Algerien, Marokko - haben zudem eine sehr geringe Anerkennungsquote.

KNA: Aber warum bleiben sie dennoch in Europa?

Westerholt: Weil zurückkehren schlichtweg für viele keine Option ist. In der Hoffnung, irgendwo Anknüpfungspunkte zu finden, wechseln viele dabei von Land zu Land, auch weil sich Europa in seiner Asyl- und Einwanderungspolitik uneins ist. Ich vermisse hier Klarheit und Einheitlichkeit. Es gibt etwa überall unterschiedliche Anerkennungsquoten. In Deutschland sind die sicheren Herkunftsländer zwar neu definiert worden, jedoch ist die Frage der Rückführung weiter nicht zielführend. Wir plädieren nicht für ein resoluteres Verfahren, jedoch für mehr Klarheit, sei es bei positiven oder negativen Bescheiden für die Schutzsuchenden.

KNA: Würde das die Beratung erleichtern?

Westerholt: Ich denke schon. Unser Jugendmigrationsdienst, der ein Beratungsangebot für 15- bis 27-jährige Neueingewanderte ist, entwickelt Förderpläne mit jungen Erwachsene, die auf erreichbaren Perspektiven beruhen. Menschen, denen keine Perspektive geboten wird, oder deren Perspektiven unklar sind, verlieren wir im Beratungsprozess. Mit mehr Klarheit könnten wir offener und besser helfen.

KNA: Wo liegen die Schwierigkeiten bei den jungen Geflüchteten?

Westerholt: Viele junge Leute wollen schnell Geld verdienen, denn schließlich sind sie dafür teils von den Familien hier her geschickt worden. Ohne Anschlussperspektiven sind für manche nur Schwarz-Arbeit oder andere illegale Tätigkeiten eine Möglichkeit, dies zu erreichen.

Die finanziellen Leistungen, die sie während des Asylverfahrens erhalten, entsprechen nicht ihren Erwartungen. Sie empfinden es als Scheitern, wenn sie lediglich das Asylverfahren abwarten. Unsere Aufgabe ist es, ihnen klar zu machen, dass es, wenn überhaupt, nur so funktioniert. Auch bei einer Asylablehnung und anschließendem Rückführungsprogramm gibt es zwar finanzielle Hilfen, aber dafür müssen sie sich aktiv in den Prozess einbringen. Das bedeutet für die Menschen jedoch oft, sich mit dem eigenen "Scheitern" auseinanderzusetzen.

KNA: Wünschen Sie sich mehr Unterstützung für Integrationshilfen wie ihr Beratungsangebot?

Westerholt: In Fällen, wie sie nun an Silvester vorgekommen sind, ist das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen - hier müssen Erwartungshaltungen an soziale Arbeit realistisch eingeschätzt werden. Wir brauchen dennoch eine Aufstockung der Integrationsarbeit, um hier präventiv vorzubeugen. Aber es müssen eben auch Perspektiven seitens des Gesetzgebers entwickelt werden, um Anknüpfungspunkte zu finden. Momentan sind hier eben bei vielen nordafrikanischen Einwanderern ganz starre Grenzen gesetzt. Wenn die Einwanderer in einen Duldungsstatus reinrutschen oder ihr Verfahren abgelehnt wird und sie dann zu "Illegalen" werden, dann besteht die Gefahr, dass wir den Kontakt zu ihnen verlieren.

KNA: Wo sollte Hilfe darüber hinaus ansetzen?

Westerholt: Von wesentlicher Bedeutung ist langfristig die Entwicklung in den Herkunftsländer. Dabei geht es um wirtschaftliche Strukturen, aber auch Menschenrechtsfragen und Demokratieprozesse. Hier ist die Politik gefordert, einen gemeinsamen europäischen Blick zu erarbeiten. Es sollte hierbei nicht nur um Abschottung von Europa gehen.

Das Interview führte Rainer Nolte.

 


Quelle:
KNA