DOMRADIO.DE: Er hätte eigentlich Brezen backen sollen - und hatte dafür sogar ein Ausbildungsangebot von der Konditorei Riedmair in München: Esam M. aus Kabul. Doch dann setzten ihn Polizisten gewaltsam in ein Flugzeug nach Afghanistan. Kein Einzelfall: Immer öfter müssen abgelehnte Asylsuchende Deutschland verlassen – selbst dann, wenn sie eine Lehre machen oder längst in hiesigen Arbeitsmarkt integriert sind.
Hilfsorganisationen wie Pro-Asyl, aber auch die Opposition im Bundestag und in den Landesparlamenten kritisieren diese Praxis schon seit geraumer Zeit. Und seit Anfang des Monats mehren sich auch in der Unionspartei Stimmen, die fordern, solch gut integrierten Asylbewerbern eine Bleibeperspektive zu eröffnen. Mit Hilfe des geplanten "Fachkräftezuwanderungsgesetzes". Sollen abgelehnte Asylbewerber bleiben dürfen, wenn sie dem Arbeitsmarkt nützen?
Vorreiter dieser Idee ist der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Er nennt das einen "Spurwechsel in der Asylpolitik". Wie könnte ein Spurwechsel in der Asylpolitik aussehen?
Daniel Günther (Ministerpräsident Schleswig-Holstein) : Der könnte so aussehen, dass man im Fachkräftezuwanderungsgesetz Kriterien definiert, anhand deren Menschen entweder nach Deutschland kommen können oder hier bleiben können, wenn sie ohnehin schon in unserem Land sind. Und es ist sehr häufig so, dass Kriterien nach dem Asylrecht nicht greifen, dass Menschen, die hier integriert sind, die gut Deutsch sprechen können, die eine Ausbildung beginnen wollen, nach den Asylregeln in ihr Heimatland abgeschoben werden. Und hier wäre es wichtig, dass nicht mehr Asylrecht greift, sondern ein Zuwanderungsgesetz, das nennt man eben den Spurwechsel. Und ich bin sehr dafür, dass da im neuen Fachkräftegesetz, was jetzt auf Bundesebene diskutiert werden soll, auch aufgenommen wird.
DOMRADIO.DE: Nun ist der Gedanke ja nicht neu – SPD, FDP und Grüne fordern diese Möglichkeit schon länger. Wieso schwenken jetzt auch Sie auf diese Linie ein?
Günther: Wir sind schon länger auf der Seite derjenigen, die das für richtig halten. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein, den wir auch als CDU unterschrieben haben, diesen Spurwechsel schon enthalten gehabt. Ich werbe auch schon lange in der Union dafür, dies zu tun. Und ich merke, dass immer mehr auch Unions-Abgeordnete genau von diesem Problem aus ihren Wahlkreisen berichten. Dass es auf der einen Seite Probleme bei Abschiebungen gibt, dass man sich fragt, warum schafft man das bei den Menschen nicht, die es eigentlich wirklich treffen sollte, aber dass man auf der anderen Seite ganz viele Menschen hat, denen man eine Bleibeperspektive wünschen würde – die aus einem sicheren Herkunftsland kommen, die über viele Jahre in Deutschland sind als Familie, die Kinder teilweise hier geboren, aufgewachsen, einige beginnen die Ausbildung. Warum schieben wir solche Menschen in die Heimatländer ab? Die brauchen wir. Wir haben Fachkräftemangel. Ich glaube, wenn man diese praktischen Erfahrungen hat, dann kommt da ein Umdenken.
DOMRADIO.DE: Für Ihren Vorschlag mussten Sie viel Kritik aus Ihrer eigenen Partei einstecken. Fraktionschef Kauder etwa befürchtet, die Gesetzesänderung wird nur weitere Menschen ermuntern, nach Deutschland zu kommen?
Günther: Ich glaub nicht, dass das richtig ist. Ich habe Herrn Kauder auch so verstanden, dass er nicht möchte, dass es ein Regelfall wird. Wir sprechen ja auch nicht von einem Regelfall, sondern dass wirklich klare Kriterien greifen müssen. Aber wenn das Menschen nach Deutschland zieht, die gut ausgebildet sind und uns bei unserem Fachkräftemangel unterstützen wollen, wüsste ich nicht, was an dieser Magnetwirkung wirklich schwierig sein sollte.
DOMRADIO.DE: Die große Koalition hatte sich ja darauf verständigt, ein Regelwerk nach dem „Bedarf unserer Volkswirtschaft“ zu erarbeiten, um die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu steuern. Eckpunkte des Gesetzes sollen bald vorgestellt werden. Kriegen Ihre Parteifreunde jetzt, wo es konkret wird, kalte Füße?
Günther: Nein, ich glaube nicht, dass sie kalte Füße bekommen. Jeder merkt, dass hier dringender Bedarf ist und eigentlich ist allen klar, dass wir mit einem solchen Gesetz viel zu spät sind. Wir haben im Moment, was Arbeitsmigration angeht, ungefähr 40 Regelungen, die sich auf unterschiedlichste Gesetze beziehen, hochkompliziert, die immer wieder in der Praxis zu Problemen führen. Und jedem Ist klar, dass so ein Fachkräftezuwanderungsgesetz notwendig ist und so schnell wie möglich kommen muss. Natürlich werden wir in der Sache die eine oder andere Diskussion führen müssen. Aber ich glaube, die gesellschaftliche Unterstützung für ein solches Gesetz ist so breit, dass niemand Sorge haben muss, an diesem Gesetz mitzuarbeiten.
DOMRADIO.DE: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung meint, deutsche Firmen und auch der Sozialstaat werden von einer solchen Regelung profitieren. Freilich unter der Bedingung, dass die Betroffenen ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren können. Wer dann seinen Job verliert oder arbeitsunfähig wird – droht dem automatisch die Abschiebung?
Günther: Nein, da muss man Regelungen treffen. Diese Menschen brauchen dann eine dauerhafte Perspektive bei uns. Es gibt gewisse Lebensrisiken. Aber wenn Menschen erst mal selbst ihren Lebensunterhalt verdienen, ne vernünftige Ausbildung haben, dann ist ja der Anreiz da, dieses Leben auch so fortzusetzen. Ich sehe ohnehin keine Gründe dafür, warum diese Menschen nicht auch dauerhaft Jobs haben können. Wenn ich mir den Pflegebereich angucke, wenn ich mir bestimmte Handwerksberuf angucke, haben wir einfach einen riesigen Bedarf. Und wer da ne Ausbildung abgeschlossen hat und im Berufsleben ist, der hat beste Perspektiven, im Job zu bleiben.
DOMRADIO.DE: Das Statistische Bundesamt rechnet vor, dass sich die Zahl der Lehrverträge von jungen Syrern und Afghanen 2017 von etwa 7.000 auf rund 10.000 erhöht hat. Untermauern diese Zahlen, Herr Günther, dass Integration durch Ausbildung gelingen kann?
Günther: Die Zahlen untermauern das, das ist auch eine positive Entwicklung. Aber mein Eindruck ist, wir können dort noch deutlich mehr schaffen. Die Zahlen sind noch nicht hoch genug. Ich glaube, dass wir für Integration noch mehr tun können, dass da viele dabei sind, die bereitwillig sich in den Arbeitsmarkt integrieren. Dafür brauchen sie gute Deutschkenntnisse und wir sollten alle Anstrengungen dort leisten, um hier zu Erfolgen zu kommen.
Das Interview führte Moritz Dege