Misereor-Bischof über die Fußball-WM

"Ich drücke Afrika die Daumen"

Am Freitag beginnt in Südafrika die Fußball-Weltmeisterschaft - das erste sportliche Großereignis auf dem Schwarzen Kontinent überhaupt. Dann wird Afrika für vier Wochen im Zentrum des Weltinteresses stehen. Aber was bringt die WM dem Erdteil? Antworten von Hamburgs Erzbischof Werner Thissen, Fußballfan und Beauftragter des Hilfswerks Misereor.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, das Wichtigste zuerst: Wer wird Weltmeister?
Thissen: Weltmeister wird hoffentlich der, der am besten spielt. Es zeichnet sich für mich derzeit keine Mannschaft als Favorit ab. Auf jeden Fall drücke ich den sechs afrikanischen Teams die Daumen, dass die möglichst weit kommen.

KNA: Welche Hoffnung haben Sie gesellschaftlich für die WM am Kap der Guten Hoffnung?
Thissen: In den vergangenen Jahren haben sich viele Medien aus Afrika zurückgezogen, so dass Korrespondenten aus Europa nicht so präsent sind, wie ich mir das wünsche. Ich habe die Hoffnung, dass die Journalisten durch die Fußball-WM entdecken, wie viel Berichtenswertes es auf diesem wunderbaren Kontinent gibt. Afrika steckt voll krasser Gegensätze, aber auch immenser Chancen. Ich wünsche mir mehr Fortschritte für die Demokratisierungsbewegungen und bessere Partnerschaften der afrikanischen Länder untereinander und auch mit Europa und den USA.

KNA: Seit Ende der Apartheid ist Südafrika nicht mehr Sorgenkind des Kontinents, doch sprechen Berichte über Gewalt, Drogen, Obdachlose und Aids-Waisen eine andere Sprache. Wo ist das vielbeschworene "neue Südafrika"?
Thissen: Südafrika hat seit Ende der Apartheid einen guten Wegabschnitt zurückgelegt, ist aber längst nicht so weit, wie wir uns das erhoffen. Es gibt immer noch die weiße, gut situierte Schicht, aber auch eine neue, gut situierte afrikanische Schicht, was natürlich auch zu Neid und Spannungen führt. Ein großes Problem stellen die 4 Millionen Einwanderer dar; im Verhältnis zu den 47 Millionen Einwohnern ist Südafrika damit ein Einwanderungsland. Diese Gemengelage führt zu der komplizierten, mitunter explosiven Situation im Land.

KNA: Mit Afrika verbindet man meist die vier K's: "Krisen, Kriege, Krankheiten, Katastrophen". Kann die WM dieses Bild korrigieren?
Thissen: Diese vier "K's" zeugen von einem Schablonendenken, gegen das man sich wehren muss. Außerdem darf man dabei nicht unsere Mitverantwortung übersehen: Mit dem Stern der Firma Daimler auf der Kleidung der deutschen Nationalelf werden manche assoziieren, dass dieser Stern auch auf den Autos war, die in den Townships die Aufstände mit Gewalt niedergeschlagen haben. Die Organisation Khulumani, die die Opfer des Apartheid-Regimes vertritt, erhebt gegen Daimler den Vorwurf der Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Nach Angaben von Khulumani hat Daimler 2.500 Unimogs an Südafrikas Armee geliefert, die als Truppentransporter umgebaut oder als Raketenwerfer bestückt wurden. Das heißt, dass auch deutsche Firmen, neben Daimler etwa der Konzern Rheinmetall, am Unrecht des Apartheid-Regimes mitgewirkt haben.

KNA: Welche Aktivitäten gibt es von Misereor zur Fußball-WM?
Thissen: Misereor hat mehr als 100 Projekte in Südafrika mit einer Fördersumme von 14 Millionen Euro. Es geht vor allem darum, für junge Leute Wege aus der Armut zu finden, indem wir Bildung, Sportangebote und Projekte zur Gewaltprävention unterstützen. Zur WM wurde außerdem ein großes Fußballturnier organisiert, bei dem Jugendliche verschiedener Herkunft, Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, miteinander kicken und so miteinander ins Gespräch kommen. Außerdem bietet Misereor Journalisten während der WM an, Misereor-Projekte zu besuchen, um die Realität des Landes besser kennenzulernen.

KNA: Wie kann gerade Straßenkindern mit Fußball geholfen werden?
Thissen: Fußball war auch für mich als Kind eine große Hilfe, weil immer drei Dinge zusammen kommen: Ich als Spieler muss meine Aufgabe erfüllen, aber dabei die Mitspieler im Blick haben: Wer steht günstiger, wem kann ich die Vorlage geben? Und ich muss dieses Verhältnis von Einzelnem und Mannschaft in eine gute Balance bringen. Genauso lernen auch die Straßenkinder Fairplay, Regeln einzuhalten und auf die anderen zu schauen.

KNA: Wie ist Ihre Prognose für die deutsche Elf? Kapitän Ballack fällt aus, die Verletztenliste ist lang. Für manchen eine nationale Katastrophe.
Thissen: Da merkt man, dass wir das Volk Goethes sind: Wir machen aus allem schnell ein Drama, so auch in diesem Fall. Mit tut es Leid für Michael Ballack, dass er jetzt möglicherweise die Krönung seiner Laufbahn durch die schlimme Verletzung verpasst hat. Aber es ist zugleich die Chance für nachrückende Spieler.

KNA: Müssen wir jetzt ein bisschen mehr zum Fußballgott beten?
Thissen: Wer ist das? "Gott existiert, er ist mir begegnet", heißt ein Aufsehen erregendes Buch. Der Fußballgott ist mir noch nicht begegnet.

KNA: Dennoch ist der Fußball für manche eine Art Ersatzreligion.
Thissen: Es stimmt, dass Fußball und Kirche rituelle Phänomene wie etwa den Einzug, die Hymnen oder den Massen-Enthusiasmus teilen. Aber es ist nicht Religion, denn Religiöses hilft den Menschen bei der Sinnsuche, und das ist im Fußball nicht der Fall. Es gibt Überschneidungen, die machen mir gar keine Sorge.

KNA: Würden Sie um den Sieg Ihrer Mannschaft beten?
Thissen: Ich bete darum, dass die WM in Südafrika friedlich und ohne große Konflikte abläuft, und dass sie dazu führt, dass dieses wunderbare Land mit neuen Augen gesehen werden kann.

Das Gespräch führte Sabine Kleyboldt.