DOMRADIO.DE: Es sind viele Kandidaten aus ärmeren Regionen ernannt worden. Welches Zeichen sendet Papst Franziskus damit?
Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks für Entwicklungszusammenarbeit "Misereor"): Meine erste Intuition war, dass Papst Franziskus in seinen bisherigen Schreiben immer wieder die Einheit der Menschen und die Sorge um die Schöpfung als große Weltaufgaben nennt. Dies kann nur global und universal gelingen. Damit ist die Neubenennung dieser Kardinäle aus allen Kontinenten ein Zeichen für diese große Weltaufgabe, vor der wir stehen.
DOMRADIO.DE: Ist das aber auch ein Zeichen in Richtung der reichen Länder, mal die Perspektive zu wechseln?
Spiegel: Ja, der Bischof von Manaus beispielsweise, der zukünftig Kardinal wird, bringt die Perspektive Amazoniens mit ein und damit die Perspektive einer globalen Herausforderung des Klimas. Im brasilianischen Manaus grassierte die Covid-Pandemie enorm, auch aufgrund fehlender Solidarität und Gerechtigkeit der reichen Ländern mit Amazonien. Die Ernennung Leonardo Steiners ist ein Ausdruck davon, dass wir die Perspektive von Papst Franziskus brauchen, in der Nachfolge Jesu, der an der Seite der Armen und Vulnerablen steht.
Neben Leonardo Steiner wird aber auch der Erzbischof von Cartagena in Kolumbien zum Kardinal ernannt. Das hat mich besonders gefreut, weil Cartagena der Ausdruck der Sklaverei und des Sklavenhandels in der lateinamerikanischen Kolonialgeschichte ist. Auch hier wird deutlich: Es geht um Gleichheit und Gerechtigkeit, und um Menschenwürde. Und da setzt der Papst ein deutliches Zeichen.
DOMRADIO.DE: Könnten Sie sich vorstellen, dass der kommende Papst aus einem ganz anderen Kontext kommt, als es bisher üblich war, zum Beispiel aus Asien?
Spiegel: Das sind natürlich nur Vermutungen. Mit Papst Franziskus wurde der erste Nicht-Europäer zum Papst gewählt. Durch das Kardinalskollegium, durch die Ernennungen in den letzten sieben, acht Jahren wurde dies natürlich universaler und entspricht damit auch dem Auftrag der Kirche, eine weltumfassende Kirche zu sein.
Da könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die Kardinäle im nächsten Konklave, das hoffentlich noch sehr lange entfernt ist, weil Papst Franziskus nach wie vor eine wichtige und zentrale Arbeit für unsere Weltkirche und für den Planeten leistet, die Perspektive Asien stärker in den Blick nimmt - auch weil zwei Drittel der Menschheit in Asien lebt und das Christentum in Asien, mit Ausnahme von Osttimor und den Philippinen, zur Minderheit gehört.
Das sind noch mal ganz neue Perspektiven, die durch diese Kardinalsernennungen in das Kardinalskollegium und in unsere Kirche hineingetragen werden.
DOMRADIO.DE: Inwiefern könnte das denn auch kirchenpolitische oder auch spirituelle Bedeutung haben? In den ärmeren Ländern gibt es beispielsweise häufig eine ganz andere Frömmigkeit als bei uns...
Spiegel: Ich war kürzlich beim Katholikentag in Stuttgart zusammen mit Kardinal Gracias aus Bombay (Indien) und er hat gesagt: Im Hinblick auf eine Generalkonferenz der asiatischen Kirche stehen der Dialog mit anderen Weltreligionen, der Dialog mit den Armen, der Dialog mit dem Klima und Dialog mit den Kulturen im Zentrum.
Da wird ganz deutlich, dass der Blick der Kirche kein selbstreferenzieller ist, dass es nicht um die Kirche geht, sondern dass Kirche einen Auftrag hat: die Peripherie, also das, was nicht im Zentrum steht, ins Zentrum zu setzen und diese Perspektive einzubringen. Das bestätigt sich in der Kardinalsbenennungen von Papst Franziskus.
DOMRADIO.DE: Die neuen Kardinäle kommen aus Regionen, in denen Misereor arbeitet und Spendenprojekte organisiert, zum Beispiel im religionspolitisch schwierigen Indien. Welche Relevanz können die Kardinäle da haben?
Spiegel: Sie haben Indien genannt: Der Erzbischof von Goa wird neuer Kardinal werden. Er steht in engem Dialog mit der Hindu-Religion, welcher die große Mehrheit in Indien anhängt. Da wird auch für unsere Misereor-Partner der Dialog zugunsten der Armen und zugunsten des Klimawandels neu unterstrichen.
Damit werden also nicht nur Persönlichkeiten der Weltkirche ernannt, dessen Länder nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sondern auch deren Themen werden in den Mittelpunkt gerückt. Das wird der Arbeit von Misereor und den anderen Hilfswerke sehr gut tun und ist Rückenwind für uns.
Das Interview führte Julia Reck.