domradio: Große Erwartungen werden an den Papst gestellt, wenn er erstmals Afrika bereist und dazu gerade diese beiden Länder: Wofür braucht der Papst offene Augen und Ohren? Wie ist die Situation der Menschen dort vor Ort?
Neussel: Kamerun galt bis Mitte der Achtziger Jahre fast schon als Schwellenland. Im vergangenen Jahren im Februar gab es Unruhen mit vielen Toten und zahlreichen Verhaftungen, die schnell auf andere Länder übergriffen. Kamerun erlebt zur Zeit eine starke Wirtschaftskrise - auch verstärkt durch die Verstädterung: Inzwischen lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den Städten. Gerade hier sind viele Arbeitsplätze weggefallen. Die kamerunische Bevölkerung ist sehr jung, über 60 Prozent sind jünger als 20 Jahre. Diese jungen Menschen sitzen in den Ballungsräumen und sind unterbeschäftigt oder gar nicht beschäftigt. Gemeinsam mit den steigenden Rohstoffpreisen - vor allen Dingen den Benzinpreisen - hat genau das zu den Hungeraufständen geführt, die man so nie erwartet hatte.
domradio: Erdöleinnahmen, Bodenschätze, all das haben die Länder zu bieten. Aber die Korruption in diesen Ländern ist groß. Der Großteil der Einnahmen kommt nicht bei den Menschen an. Wird der Papst auch die Machthaber der Länder sprechen und in welche Wunden sollte der Papst in diesen Ländern die Finger legen?
Neussel: Ich hoffe, dass der Papst die Machthaber spricht. Ich gehe davon aus. Dabei sollte er den Finger in die Wunden der Korruption legen. Kamerun war zeitweise das korrupteste Land der Welt. Und Korruption ist noch immer ein großes Problem! Kamerun ist reich an Rohstoffen. Momentan sprechen unsere Partner von 83 Bergbaukonzessionen, die vergeben werden und wo gesucht wird. Aber von diesem Geld fließt sehr wenig in die armutsorientierte Entwicklung: sehr wenig in Schulen, Straßen und Krankenhäuser. Das ist sicherlich ein sehr großes Problem. Ein anderes sehr großes Problem ist Aids. Immerhin haben wir schon fast 12 Prozent HIV-positive Menschen in Kamerun.
domradio: In Kamerun sind rund 50 Prozent der Bevölkerung Christen, davon 25 % Katholiken und 25 % Protestanten. Was bedeutet das denn, auch politisch, dass der Papst gerade diese beiden Länder besucht?
Neussel: Über diese Zahlen kann man streiten. Es gibt verschiedene Statistiken mit unterschiedlichen Angaben. Richtig ist: Es gibt sehr viele Christen in Kamerun. Die Katholische Kirche spielt dort eine große Rolle. Es ist auch in der Kirche selber eine sehr junge Kirche. Man erlebt im Gegensatz zu hier sehr volle Gottesdienste. In einer Pfarrei gibt es drei zweistündige Gottesdienste am Stück zu haben, ist keine Seltenheit. Insofern wird der Papst eine sehr begeisterte Bevölkerung erleben, die ihn sicherlich feiern lassen wird. Wahrscheinlich auch nicht nur die Katholiken. Und er wird sicherlich sehr viele junge Menschen treffen. Junge Katholiken, die noch ihren Weg suchen. Und für die der Besuch des Papstes in Afrika schon ein sehr wichtiges Symbol ist.
domradio: Welche Rolle hat die Kirche in diesen Ländern? Was leistet sie dort? Zum Beispiel auch ihr Hilfswerk Misereor?
Neussel: Wir unterstützen als Hilfswerk grundsätzlich Partner vor Ort und dabei weitgehend Partner der Katholischen Kirche, so ist das auch in Kamerun. Die Kirche hat verschiedene Arbeiten, die sich macht. Das eine ist das Sozial-Politische, die Kirche ist so etwas wie das Sprachrohr und das Gewissen. Sie hat sich in den Entschuldungsprozess eingeschaltet und drängt darauf, dass die Entschuldungsgelder armutsorientiert ausgegeben werden. Sie hat sich in Wahlbeobachtung eingeschaltet und hat einen eigenen Vorschlag erarbeitet, um die Wahlgesetzgebung zu ändern, weil sie sagen: Wir kommen einfach nicht weiter, wenn unsere Machthaber immer wieder auf korrupte Art und Weise gewählt werden. Aber sie arbeiten auch ganz praktisch armutsorientiert, z.B. haben katholische Schulen in Kamerun etwa 300.000 Schüler, fast 1.000 Schulen werden von der Katholischen Kirche betrieben.
domradio: Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden, das sind die Themen der großen Afrikasynode im Herbst - Die Afrikareise jetzt ist sozusagen der Vorbote für diese SynodeF. Was erhoffen sie sich von dieser Reise jetzt?
Neussel: Wir erhoffen uns, dass der Papst auf der einen Seite auch offene Ohren haben wird, um von den afrikanischen Bischöfen zu erfahren, wie schwierig die Lage in Afrika ist und wie wichtig Frieden, Ausgleich und Versöhnung sind. Afrika ist in vielen belangen ein spannender Kontinent - aber auch ein sehr zerrissener. Und die Risse ziehen sich auch quer durch Länder. Kamerun galt immer als stabil. Im Februar haben wir an einem Seminar der Deutschen Botschaft teilgenommen zur Krisensituation in Kamerun und gelernt: Die Stimmung im Land kann sehr schnell umschlagen. Ich würde mir erhoffen, dass auch der Papst mit dem tieferen Bewusstsein wieder nach Rom zurückkehrt, wie wichtig es ist, dass die Kirche aktiv Teil ist im Friedens- und Versöhnungsprozess in ganz vielen Ländern in Afrika.
HINTERGRUND
Der Papst startet am 17. März. Bis zum 20. März besucht das Kirchenoberhaupt Kamerun und anschließend bis 23. März Angola. In Kamerun veröffentlicht Benedikt XVI. bei einer Messe in der Hauptstadt Yaounde das Arbeitspapier für die zweite Bischofssynode für Afrika, die im Oktober im Vatikan stattfindet. Außerdem sind ein Höflichkeitsbesuch beim Staatspräsidenten, Begegnungen mit Bischöfen und Priestern sowie ein Treffen mit Vertretern der islamischen Welt vorgesehen.
Auch in Angola stehen mehrere Gottesdienst sowie Gespräche mit Politikern und Kirchenvertretern auf dem Programm. Außerdem nimmt Benedikt XVI. in der Hauptstadt Luanda an einem Treffen katholischer Bewegungen zur Förderung der Frau teil.
Misereor-Experte zur ersten Afrika-Reise von Papst Benedikt XVI.
Mit offenen Ohren Finger in Wunden legen
In einer Woche bricht Papst Benedikt XVI. zu seiner Afrika-Reise auf. An seinen ersten Besuch des schwarzen Kontinents sind große Hoffnungen geknüpft. "Afrika ist ein zerrissener Kontinent", so Vincent Neussel von Misereor. Am Beispiel von Kamerun erklärt er im domradio-Interview das verhängnisvolle Zusammenspiel von Korruption und Armut und seine Erwartungen an den Papst.
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