"Wir haben gar keine andere Wahl, wenn es um die Welternährung geht, muss in die bäuerliche Landwirtschaft weltweit investiert werden", sagte Benjamin Luig, Referent für Agrar- und Entwicklungspolitik bei Misereor, am Mittwoch im domradio.de-Interview. Er forderte zehn Prozent der Entwicklungshilfe für Kleinbauern. Rund 80 Prozent aller in Afrika und Asien konsumierten Lebensmittel stammten von lokalen oder regionalen Märkten und nicht von Lebensmittelexporten. Hungernde Menschen "werden auf Dauer nicht von Großfarmen aus den USA oder vom Agribusiness aus Europa ernährt, sondern es muss die bäuerliche Landwirtschaft sein", betonte Luig. Doch regionale Landwirtschaft liege häufig brach.
Papst: Unterernährung darf nie zur Normalität werden
Angesichts des beispiellosen wissenschaftlichen Fortschritts und wachsender Kommunikationsmöglichkeiten sei das Ausmaß der Unterernährung nicht hinnehmbar, sagte der Papst am Welternährungstag in Rom. Es gehe nicht nur um Hilfe in akuten Notlagen, sondern um gerechte und nachhaltige Lösungen. Hunger und Unterernährung dürften nie zur Normalität werden.
Mit Blick auf die jüngsten Flüchtlingstragödien vor der italienischen Insel Lampedusa betonte Franziskus, niemand dürfe mehr gezwungen sein, sein Land aus Mangel an lebensnotwendigen Mitteln zu verlassen. In einer globalisierten Welt, in der Informationen über weltweite Not allen zur Verfügung stünden, tendierten die Menschen jedoch immer mehr dazu, sich in sich selbst zu verschließen.
Individuen und Staaten reagierten zunehmend gleichgültig. Das müsse sich ändern. Heute sei mehr denn je eine Erziehung zur Solidarität nötig. In seiner Grußbotschaft an die UN-Ernährungsorganisation (FAO) in Rom forderte der Papst, die Vergeudung von Lebensmitteln zu beenden. Die "Logik der unkontrollierten Ausbeutung der Schöpfung" müsse überwunden werden, um alle Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen.
Rund 842 Millionen Hungernde weltweit
Die Zahl der an Hunger und Unterernährung leidenden Menschen ist in den vergangenen Jahren weltweit gesunken. Das geht aus dem am Montag in Berlin von der Welthungerhilfe vorgestellten Welthunger-Index (WHI) 2013 hervor. Dennoch sei ein Umdenken in der Entwicklungsarbeit nötig, um mit globalen Herausforderungen, die zu Flucht und Hungerkatastrophen führen, besser umgehen zu können, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe mit Sitz in Bonn, Bärbel Dieckmann.
Insgesamt hungern weltweit 842 Millionen Menschen. Damit ist jeder achte Mensch nicht ausreichend ernährt. Im Vergleich zum Jahr 1990 ist der Index jedoch um 34 Prozent zurückgegangen. Je geringer der Wert, desto weniger Menschen sind von Hunger betroffen. So haben 23 Länder seitdem deutliche Fortschritte bei der Hungerbekämpfung gemacht und ihre Index-Werte um etwa 50 Prozent oder mehr gesenkt. Dazu gehören unter anderem lateinamerikanische Staaten, Thailand und Vietnam.
Ein Grund für die Verbesserungen sei, dass in diesen Regionen die Widerstandsfähigkeit ("Resilienz") gegen Krisen gewachsen sein. Der WHI beleuchtet dieses Jahr erstmals das Thema Resilienz. Dabei geht es vor allem darum, wie Menschen mit Hunger- und Nahrungsmittelkrisen umgehen, die unter anderem durch Konflikte und Katastrophen hervorgerufen werden.
"Die Situation in der Sahel-Zone ist weiter kritisch", sagte Dieckmann. In Burundi, Eritrea und den Komoren sind die Werte am schlechtesten. "Es ist ein Skandal, denn es gibt weltweit ausreichend Lebensmittel. Alle Menschen könnten ernährt werden. Aber es gelingt uns nicht, Lebensmittel gut genug zu verteilten", betonte die Präsidentin der Welthungerhilfe.
Sie forderte ein Umdenken in der Entwicklungspolitik. So müssten humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit besser miteinander verzahnt werden. "Es wird bisher zu wenig koordiniert", sagte Dieckmann. Die Trennung beider Bereiche sei kontraproduktiv.
Für eine höhere Widerstandsfähigkeit in Krisenregionen seien zudem mehrjährige und flexible Finanzinstrumente in der Entwicklungspolitik nötig. Außerdem müsse die lokale Bevölkerung aktiv in die Erstellung von Frühwahrsystemen einbezogen werden.
Verschärfung durch Klimawandel
Mit Blick auf die Tragödie vor Lampedusa betonte Dieckmann, dass weltweit derzeit rund 20 Millionen Menschen vor Kriegen auf der Flucht sind. Hinzu kämen 100 Millionen Menschen, die vor Hunger durch Umwelteinflüsse flüchten. Dagegen sei die Zahl der 37.000 Flüchtlinge, die nach Europa kommen, sehr klein.
"Wir werden nicht verhindern können, dass sich Menschen auf die Flucht begeben, um sich und ihre Kinder vor gravierend schlechten Lebensumständen und Hunger zu schützen", sagte Dieckmann. Neben Naturkatastrophen und Kriegen könnte künftig der Klimawandel "möglicherweise die tiefgreifendste Ursache für Flucht und Hunger in den nächsten Jahren sein".
Der Welthunger-Index ist ein gemeinsamer Bericht der Welthungerhilfe, des Internationalen Forschungsinstituts für Agrar- und Ernährungspolitik (IFPRI) und der Hilfsorganisation Concern. Er zeigt die Entwicklung der Hungersituation auf globaler, regionaler und nationaler Ebene.
Am Sonntag war die "Woche der Welthungerhilfe" von Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet worden. Bis zum 20. Oktober wird dabei für eine gerechte Verteilung von Nahrung geworben. Die "Woche der Welthungerhilfe" startete erstmals vor 42 Jahren. Sie findet jeweils um den 16. Oktober herum statt, dem Internationalen Welternährungstag.